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Kurt Ostbahn - Platzangst

Kurt Ostbahn - Platzangst

Titel: Kurt Ostbahn - Platzangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Broedl
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meinen leisen Einwand entweder überhört oder die Sache schon längst für uns beide entschieden: „Also macht der Herr Dresch weiter an seinem Computer“, sagt er, „und wir zwei packen uns die lange Unterhosen und den Skipullover ein, Herr Doktor.“

20
    Brunner steht am Fenster eines Raucherabteils und winkt, als er mich im dichten Schneetreiben über den Bahnsteig rennen sieht, in einer Hand die Ärztetasche mit dem Allernotwendigsten für eine frostige Waldviertier Nacht, in der anderen ein Plastiksackerl mit Reiseproviant (drei Dosen Gösser, zwei heiße Leberkässemmeln), den ich noch rasch am Imbißstand in der Bahnhofshalle eingekauft hab. Pünktlich mit Anfahren des Personenzugs nach Gmünd (mit Anschluß nach Litschau) springe ich auf, was zwar streng verboten ist, aber auf dem Perron war weder ein Fahrdienstleiter noch sonst eine Menschenseele zu sehen, die sich für mein Vergehen interessiert hätte.
    „Das war knapp. Ich hab schon geglaubt, Sie lassen mich im Stich, Herr Doktor“, begrüßt mich Brunner, als ich hinter mir die Schiebetür des Abteils schließe und, mit einer leichten Atemnot kämpfend, in die weiche Sitzpolsterung sinke.
    Brunner hat seine antike Aktenmappe gegen eine neue Reisetasche getauscht und kramt daraus einen Flachmann hervor.
    „Zur Vorbeugung“, sagt er und reicht mir die Flasche. „Weil eine Grippe können wir uns jetzt nicht leisten. Übrigens, ich hab mich erkundigt. Es geht heut tatsächlich kein Zug mehr zurück nach Wien. Nur noch der Postautobus, aber den erwischen wir nicht, wenn wir uns mit der Frau Fabian länger als eine halbe Stunde unterhalten wollen. Also werden wir uns auf jeden Fall ein Quartier suchen müssen.“
    Zu dieser Jahreszeit verirrt sich kaum ein Urlauber in Österreichs hohen Norden. Die erbärmlich niedrigen Temperaturen und der vorherrschende Dauernebel vermiesen dem Gast nämlich die spröde landschaftliche Schönheit, mit der das nördliche Waldviertel gesegnet ist. Die Gastronomie-und Beherbergungsbetriebe der Region wissen das, und daher ist damit zu rechnen, daß wir zwar jede Menge freier Gästezimmer vorfinden werden, die aber bedauerlicher Weise seit Monaten nicht beheizt wurden.
    Ich behalte meine Befürchtung einstweilen für mich und nehme einen kräftigen vorbeugenden Schluck. Scharlachberg . Dann gebe ich den Flachmann an Brunner zurück. Der zögert kurz, schraubt den Verschluß wieder zu und packt die Flasche weg.
    „Ich hab schon“, sagt er. Und nach einer Pause: „Vorgebeugt, mein ich.“
    „Verstehe“, sage ich.
    Brunner lächelt wissend, und ich lächle wissend zurück.
    Draußen schieben die Österreichischen Bundesbahnen die nordwestlichen Ausläufer Wiens vorbei. Sollten sie dabei die Erbauung der Fahrgäste im Sinn haben, dann ist die Aktion ein glatter Fehlschlag. Ich widme mich angesichts der gebotenen Aussicht lieber meiner Leberkässemmel und dem ersten Bier. Brunner jedoch starrt irgendwie fasziniert aus dem Fenster, hinaus in das heftige Schneegestöber, das die krötenhafte Häßlichkeit der suburbanen Industriezone auch nicht wirklich verschleiern kann.
    „New Mexico“, meint er.
    „Inwiefern?“ frage ich mit vollem Mund, was sich dann anhört wie „Mimpfiberm“.
    „Daß manche Leut immer auf die Butterseite fallen.“
    „Inwiefern?“ frage ich ein zweites Mal, aber erst nachdem ich runtergegessen habe.
    „Der Knapp. Fliegt jetzt in einem Hubschrauber voll fescher Katzen in New Mexico spazieren, und was machen wir?“
    „Naja“, sage ich, „hätten wir halt was Anständiges gelernt.“
    Brunner lacht.
    Und ich sehe den Knapp, den ich noch nie im Leben gesehen habe, in der khakifarbenen Kurzen und dem Polohemd vom italienischen Designer, bei mindestens 40 Grad (im Schatten) an seiner Kamera, hoch droben auf dem Plateau einer dieser knallroten Tafelberge, wie sie in New Mexico so üblich sind, in der prallen Sonne; und weil er sich das fix eingebildet hat, posiert für ihn ein halbes Dutzend Supermodels nur in Cowboystiefeln und der neuesten Pelzkollektion eines französischen Modezars: Chincilla und Ozelot, Nutria und Silberfuchs auf nackter Haut. Und ich denk mir: Das brauchst du eigentlich auch nicht wirklich dringend, Kurtl. Weder die schönen Kleider so vieler toter Tiere, noch den Grant der Models, den ich mir fraglos zuziehe, wenn ich sie in der Mörderhitze im Winterpelz durch die Wüste hetze; und auch nicht den Sonnenbrand, den man sich bei einem solchen Unternehmen unweigerlich

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