Kurt Ostbahn - Platzangst
zu Berge, aber mit Sicherheit nicht, weil sie sich das beim Friseur so bestellt hat.
„Ja, bitte?“ sagt sie und bestaunt zwei vermummte ältere Herren, die vor ihrer Tür nicht länger im Schnee stehen wollen.
„Frau Fabian?“ sagt Brunner. „Entschuldigen Sie die Störung, aber wir hätten da ein paar Fragen, der Herr Doktor und ich.“ Und dabei tritt er aus dem Licht, um mich wirken zu lassen, was aber bei Iris Fabian die Wirkung verfehlt. „Dürften wir auf einen Sprung weiterkommen?“
„Ich weiß nicht. Ja, natürlich. Bitte“, sagt Iris und bittet uns herein. „Is irgendwas? Ich mein, is irgendwas passiert?“
„Brunner. Sicherheitsbüro. Keine Angst. Garnix is passiert“, lügt Brunner, knapp vorbei an der Wahrheit, und tritt vor mir ins Haus. „Den Herrn Doktor kennen Sie ja wahrscheinlich eh“.
„D’Ehre“, sage ich und ziehe mir die Pudelmütze vom Kopf.
„Ich glaub, wir haben uns schon einmal gesehen, drüben in Litschau. Sie sind der neue Gemeindearzt, gelt?“ sagt Iris und schüttelt mir kräftig die Hand.
Ich schätze, der Prominentenbonus, auf den Brunner so sehr gesetzt hat, greift in diesem Haushalt nicht so ganz.
22
Es gibt Mangotee, Kirschblütentee, Schafgarbentee, Hagebuttentee, Orangenblütentee, Wacholdertee, Pfefferminztee, Zitronentee, Hibiskustee, Kamillentee, jeden Tee.
„Ein normaler russischer wär mir recht“, sagt Brunner. „Vielleicht mit einem Schuß Rum.“
„Rum hab ich leider nicht im Haus“, bedauert die Gastgeberin, „aber einen Schnaps. Selbstgebrannt. Nicht von mir, natürlich. Vom Winzer.“
„Klingt gescheit und gesund“, meint Brunner und nickt angetan. Iris hat für uns die mit honigfarbenen Butzenscheiben verglasten Flügeltüren ihrer Kredenz geöffnet und präsentiert ihr Sortiment an Genußmittelvorräten für viele lange kalte Abende und Nächte.
„Und Sie, Herr Doktor?“
„Ich würd mich glatt dem Herrn Oberinspektor anschließen“, sage ich. Brunner zieht die Augenbrauen hoch. Der Oberinspektor war nicht nach seinem Geschmack. Aber was weiß ich, welchen Titel er tragen würde, wäre er noch in Amt und Würden. Polizeirat? Kriminalrat? Morddezernatsrat?
Aber sonst haben wir es wirklich gemütlich. Draußen tobt der Sturm ums Haus, und umso mehr weiß man eine gute Stube zu schätzen, die heimelige Wärme und das leise Knistern des alten Herdes, den matten Schein der Duftkerzen und Petroleumlampen (denn elektrisches Licht gibt es nur in dem zum Künstleratelier ausgebauten Dachgeschoß) und die ungezwungene Gastfreundlichkeit unserer eremitischen Informantin.
Seit sie das letzte Mal in Litschau, im Supermarkt, einkaufen war, hat sie mit keinem Menschen gesprochen, außer mit sich selbst, erzählt Iris, während sie einen großen Topf Wasser auf die Herdplatte stellt und Brennholz in den Ofen schiebt. Einkaufen war sie das letzte Mal am Donnerstag vergangener Woche. Kann aber auch am Freitag gewesen sein. Irgendwann spielen Datum und Zeit hier heraußen keine Rolle mehr. Da bestimmen ganz andere Dinge den Lauf des Lebens. Zum Beispiel die Rehe, die jeden Abend auf der Lichtung nach Futter suchen und sich immer näher ans Haus heranwagen. Oder das Heulen der Wölfe, die es aus der Hohen Tatra hierher verschlagen hat und die ihr seit ein paar Wochen Nacht für Nacht den Schlaf rauben.
Man sagt ja, daß Menschen, die lange Zeit sich selbst überlassen waren, ein bißl eigen und wunderlich werden, aber bei Iris hab ich den Eindruck, sie kommt ziemlich gut zurecht – mit sich selbst, den vielen Tieren und möglichst wenig Menschen. Es ist sicher so, daß man sich mit Einsiedlern wie Iris, die morgens mit den Hühnern aufstehen und nach dem abendlichen Plausch mit der lokalen Rehfamilie ins Bett gehen, nicht kropfert lachen kann, aber diese Welt ist ohnedies reich gesegnet mit Stimmungskanonen, die in ihrem eigenen Lärm die Erfüllung finden.
Mein Ideal liegt genau irgendwo dazwischen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und auch, daß ich mir im Leben des Doktor Trash bisher eigentlich keine Frau, und ab jetzt nur eine Frau wie Iris Fabian vorstellen kann. Die zwei zwar nicht Hand in Hand und auch nicht in trauter Zweisamkeit unter einem Dach, aber auf eine feinstoffliche Art zu einem harmonischen Ganzen verbunden, in dem der Doc für die schwarze nächtliche Hälfte zuständig ist, und Iris für die strahlende Kraft des Tages.
Was ein professioneller Geilspecht wie Frido Knapp in dieser, wie mir scheint, perfekten
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