Kurt Ostbahn - Platzangst
Konstellation verloren hat, ist mir allerdings ein Rätsel.
Und dessen Lösung wird wohl noch auf sich warten lassen, denn Iris serviert uns mit dem hochprozentigen Russischen einen Abriß ihrer kreativen Krisen, die sie während der Arbeit am jüngsten Abenteuer von „Iris Igel und Mona Maus“ durchleben mußte, weil sie mitten in der Arbeit erkannt hat, daß die Zeit gekommen ist, sich völlig neuen künstlerischen Herausforderungen zu stellen.
Ich glaub zu wissen, wovon sie spricht, aber Brunner wird schön langsam ungeduldig.
„Weil wir grad so gemütlich beisammensitzen“, sagt er und wärmt sich die Hände am Teehäferl, „der Herr Doktor und ich. . .“
Aber Iris muß sich jetzt für die Verwechslung entschuldigen, die ihr in ihrer Aufregung an der Tür passiert ist, denn natürlich hat sie längst erkannt, daß ich der Musikant sein muß, von dem ihr früher der Doc öfters erzählt hat: Daß sich ausgerechnet ein Rock-and-Roll-Sänger in seiner Freizeit in selbstaufopfernder Art und Weise in den Dienst der Verbrechensbekämpfung stellt, hat sie damals schon ziemlich beeindruckt. Ich weiß nicht, was ihr der Doc genau erzählt hat, aber ich hatte bisher den Eindruck, ich komm an meine Fälle immer wie die Jungfrau zum Kind. Aber soll ich ihr das jetzt sagen und damit das Heiligenbild zerstören, das sie von mir im Herzen trägt?
„Draußen im Halbdunkel an der Tür haben Sie dem neuen Gemeindearzt tatsächlich zum Verwechseln ähnlich gesehen“, sagt Iris., Jetzt bei Licht und ohne ihre Pudelmütze weiß ich garnicht, wie ich darauf kommen konnte. Der Arzt ist wesentlich jünger, und er hat eine richtige Mähne.“
Iris lacht leise um Entschuldigung und zeigt dabei viele strahlend weiße Zähne.
„Kein Problem“, sage ich.
Seit einiger Zeit haben in ihrem Lebkuchenhaus nicht mehr Bessie Smith, Ida Cox oder Billie Holliday den Blues, sondern ein Trompetenspieler. Eben vorhin schwebte ein alter Gershwin-Schlager durch die Stube, „Someone To Watch Over Me“, und jetzt eine gesungene Version von „Time After Time“.
„Apropos. Wer ist das?“ frage ich Iris.
„Chet Baker. Mit seinem Quartett. 1954.“
„Wunderbar“, sage ich. „Und wer ist der Sänger?“
„Chet Baker. Singt und spielt Trompete.“
Daß der traurige Trompeter auch ein wunderbar trauriger Sänger gewesen ist, wird eine der vorrangigen Informationen sein, die ich aus dem Waldviertel mit nach Hause nehme.
Brunner kann mit dieser Information, Chet Baker und der ganzen Jazzmusik offenbar nix anfangen, denn er platzt mit der Feststellung in unser Gespräch, daß in seinem Metier ein so zurückhaltender Sänger jeden Vernehmungsbeamten auf die Palme und in Weißglut bringt.
„Das sind die Flüsterer“, meint er, und: „Die sind die hartnäckigsten von allen. An denen beißt man sich die Zähne aus.“
Iris schaut ihn verständnislos an, aber Brunner hat nicht vor, Licht in das Dunkel seiner für den kriminalistischen Laien unverständlichen Anmerkung zu bringen, sondern dirigiert das Tischgespräch mit einem saloppen „Weil wir grad beim Thema sind“ auf den eigentlichen Grund unserer Winterreise.
Er macht das für Iris ziemlich nervenschonend, indem er immer wieder einfließen läßt, daß unser Besuch eine reine Routineangelegenheit ist, die einem im Zuge der ermittlerischen Fußarbeit leider nicht erspart bleibt, aber als er bei der Mumie im Keller und den Skelettresten im Allesbrenner angelangt ist, wird Iris ziemlich blaß und knabbert von da an an ihrem Daumennagel, wie sie das wahrscheinlich schon als Kind getan hat, beim Kasperl und dem Krokodil.
Tja, und da der Herr Knapp derzeit für nähere Auskünfte, das berufliche und gesellschaftliche Leben in der Auhofstraße 238 betreffend, nicht zur Verfügung steht, weil er außer Landes und zwar in den Wüsten New Mexicos weilt, würden wir die gnädige Frau darum ersuchen, sich an ihre gemeinsame Zeit mit dem Frido zu erinnern, wobei uns natürlich alles interessiert, ganz besonders aber Ereignisse rund um den Fotokeller und Begegnungen mit Personen, auf die die in groben Zügen skizzierte Beschreibung des Täters zutrifft.
„Also das ist ja alles ein Wahnsinn“, sagt Iris und holt tief Luft. „Ich weiß garnicht, wo ich anfangen soll.“
„Wo sie wollen, Frau Fabian“, sagt Brunner, „erzählen Sie uns einfach, was Ihnen einfällt. Wir machen uns dann schon unseren Reim drauf.“
Er lächelt verständnisvoll, also lächle auch ich
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