Kurt Ostbahn - Platzangst
verständnisvoll, und Iris schaut verstört und hilfesuchend von einem verständnisvollen Lächeln zum andern.
Gerade noch war alles so schön aufgeräumt und friedlich in ihrem Leben. Dann trampeln Brunner und ich herein und erinnern sie daran, daß das lange Zeit nicht so gewesen ist.
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Also der Knapp, als er noch Heinrich geheißen hat, Heinrich Knapp, und Student war an der Angewandten, an der Hochschule für Angewandte Kunst am Stubenring: eine Naturgewalt, ein kreativer Hurrikan, immer am Limit, überdreht und unberechenbar. Primadonna und beleidigte Leberwurst. Dämon und Dandy. Ein verzogenes rotzfreches Kind, das nicht weiß, wohin mit seinen vielen Talenten.
1983. Herbst. Iris lernt den Knapp bei einem Studentenfest in der Aula der Angewandten kennen. Er ist zwar nicht der Star des Abends, denn bei dieser Art von Festen ist jeder ein Star, aber er setzt sich ganz besonders gut in Szene. Während drei als Rockband verkleidete Kunststudenten immer wieder ihr Gesamtrepertoire von drei Nummern abspulen, das jedoch mit dramatisch zunehmender Lautstärke – eine Aktion, die vom fachkundigen Publikum als genialer Dilettantismus goutiert wird –, entern Knapp und seine vier kaum bekleideten Akteure unangemeldet die Bühne. Knapp bringt die Mädchen und Burschen unter dem Hallo der Festgäste paarweise in eindeutig sexuelle Beziehung zueinander, die erstarren in ihren Positionen zu lebenden Skulpturen, und dann beginnt der Überraschungskünstler mit der Verhüllung seiner Modelle. Die Männerkörper werden in Alufolie gewickelt, die Frauen in schwarzes Plastik gepackt. Das Ergebnis dieser frühen Knapp-Performance (Titel: „Krieg der Sterne“) sieht aus, als hätte der Himmelvater Darth Vader’s sündige Töchter beim Geschlechtsverkehr mit zwei Sternenwesen aus einem billigen 50er-Jahre-Science-Fiction-Film ertappt und strafweise tiefgefroren.
Damals findet Iris, die gerade ihren Abschluß an der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt gemacht hat, den jungen aufstrebenden Künstler wahnsinnig originell und amüsant. Und von dieser ersten Begegnung in der Aula der Angewandten rührt auch noch ihre Angewohnheit, den Knapp nicht Frido zu nennen sondern Heinrich. Oder Heini, was er aber garnicht mochte.
Dann war Amerika. Iris bei ihrer älteren Schwester Clara. Ein paar Monate in der Nähe von New York, dann der Umzug nach Boston. Und schließlich das Jahr an der UCLA, der University of Southern California, ein Jahr des Müßiggangs, in dem sie Calvin kennenlernt, Filmstudent und die erste wirklich große Liebe, ein Chaot und Verrückter, wie alle wirklich großen Lieben ihres Lebens. Mit ihm wäre sie heute verheiratet und hätte wahrscheinlich ein halbes Dutzend verrückter Kinder, oder wäre schon längst wieder geschieden. Auf jeden Fall wäre die Sache mit Cal ganz anders verlaufen, wenn er von einem Mescalin-Trip nicht mit der felsenfesten Überzeugung zurückgekehrt wäre, die Inkarnation von Jim Morrison zu sein.
1987. Wieder in Wien. Und nach heftigen Friktionen mit dem Vater das erste Mal in der Situation, ganz allein für den Lebensunterhalt aufkommen zu müssen. An der Bar im U4 ein Wiedersehen mit dem Knapp. Sie jobbt hinter der Theke, er trinkt in dieser Nacht massenhaft Tequila und hält eine Bande furchtbar wichtiger Arschkriecher frei. Der Knapp ist unterwegs nach oben und heißt bereits Frido. Als gegen Morgen die Trinkkumpane nach und nach abfallen und der Star an der Bar nah dran ist, zu einem von künstlerischem Selbstzweifel zerfressenen Häufchen Elend zu verkommen, erinnert ihn Iris an seine ersten Triumphe, damals an der Angewandten, als er noch der Heinrich war. Der Knapp will daraufhin sofort ihre Telefonnummer. Und als sie ein paar Tage später miteinander telefonieren, kann er sich zwar nicht mehr dran erinnern, weshalb er ihre Nummer mit so vielen Rufzeichen eingerahmt hat, aber er weiß, daß bei ihm im Verlag dringend nach einer Illustratorin gesucht wird, die sich auf Tierkarikaturen versteht – schmusende Wale, bumsende Pandas, kiffende Leguane.
Es ist dann zwar ganz anders, nämlich eine Umweltschutzbroschüre für die Volksschulen der Gemeinde Wien, aber auf einmal ist Iris im Geschäft. Und es verstreichen weitere sechs Jahre, in denen der Knapp zum Starfotografen avanciert und Iris mit ihren Iris Igel und Mona Maus-Abenteuern immer mehr Kleinkinderherzen höhen schlagen läßt, bis sich die beiden anläßlich der Eröffnung einer Knapp-Ausstellung in einem
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