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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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mit seinen arthritischen Fingern am Griff der Autotür herum.
    »Nein, nein!«, ruft Dubov aus. »Sie vertreiben sie nur. Ich werde nachsehen gehen.«
    Ich frage mich, ob Vater schon wieder auf seiner emotionalen Achterbahn unterwegs ist. Dass Dubov hier als Rivale auftaucht,
     hat womöglich seinen männlichen Stolz angestachelt und sein Interesse an Valentina erneut entfacht. Er weiß ganz genau, dass
     sie nicht zu ihm passt und ihm nicht gut tut, aber er kann sich nicht gegen ihre Anziehungskraft wehren. Armer, närrischer
     alter Mann. Das Ganze kann eigentlich nur in Tränen enden. Dennoch habe ich das Gefühl, Vaters widersprüchliches Verhalten
     folgt einer tieferen Logik, denn Dubov übt auf ihn die gleiche magnetische Anziehung und die gleiche verführerische Kraft
     aus wie Valentina. Vater liebt sie beide. Er liebt die Liebe als solche, und er liebt den Pulsschlag der Liebe. Ich kann diese
     Faszination gut verstehen, denn ich kenne sie auch.
    »Seid ruhig, alle zwei, und rührt euch nicht von der Stelle«, sage ich. »
Ich
gehe und schaue nach.«
    Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als zu gehorchen, denn die hinteren Wagentüren haben Kindersicherungen und lassen
     sich nicht von innen öffnen.
     
    |279| Mike hat in der Nähe der Tür einen Sitzplatz gefunden. Eine Schar junger Männer steht um den Fernsehapparat herum und stößt
     alle paar Minuten im Chor wilde Schreie aus. Peterborough hat ein Heimspiel. Auch Mikes Augen hängen am Bildschirm, sein Glas
     ist schon halb leer. Ich gehe nach vorn zum Tresen und schaue mich um. Mike hatte Recht – von Valentina, Stanislav oder Ed
     ist nichts zu sehen. Plötzlich ein Freudengeheul: Peterborough hat ein Tor geschossen. Der Mann, der am anderen Ende der Bar
     Bier zapft, hatte den Kopf gesenkt, aber als er sich nun zum Fernseher umdreht, treffen sich unsere Augen, und das reicht,
     dass wir einander wiedererkennen. Es
ist
der kahle Ed – nur dass er nicht mehr kahl ist. Er hat jetzt graue Stoppeln auf dem Kopf. Und er hat ziemlich zugenommen,
     so dass ihm der Bauch richtiggehend über den Gürtel hängt. In den Wochen, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, hat er sich offenbar
     wirklich gehen lassen.
    »Sie schon wieder. Was wollen Sie?«
    »Ich suche Valentina und Stanislav. Ich bin bloß eine Freundin, nicht von der Polizei, falls es das ist, was Sie so beunruhigt.«
    »Sie sind weg. Abgehauen. Bei Nacht und Nebel.«
    »Ach nein!«
    »Nehme an, Sie haben ihr Angst gemacht letztes Mal.«
    »Aber   …«
    »Sie und der Junge, sind alle zwei weg. Letztes Wochenende.«
    »Haben Sie vielleicht eine Idee, wo   …?«
    »Glaube, sie hat sich für zu gut gehalten für mich.« Er schaut mich aus traurigen Augen an.
    »Sie meinen   …?«
    »Ich meine gar nichts. Und jetzt hauen Sie ab, ja? Ich muss hier den Betrieb allein schmeißen.« Er dreht mir wieder den Rücken
     zu und macht sich daran, Gläser einzusammeln.
     
    |280| »Oh nein! Fort! Verschwunden!«, kommen die Schreckensrufe der zwei Rivalen vom Rücksitz, dann hängt trauriges Schweigen im
     Wagen, das nach einigen Minuten von einem langen zittrigen Seufzer durchbrochen wird.
    »Kommen Sie, kommen Sie, Wolodja Simeonowitsch«, murmelt mein Vater auf Ukrainisch und legt Dubov einen Arm um die Schultern.
     »Seien Sie ein Mann!«
    Ich habe ihn noch nie jemanden mit dem Vatersnamen anreden hören. Er und Dubov klingen allmählich, als kämen sie geradewegs
     aus ›Krieg und Frieden‹.
    »Ach, Nikolai Alexejewitsch, ein Mann sein heißt, schwach und fehlbar zu sein.«
    »Ich glaube, wir brauchen alle ein wenig Aufmunterung«, sagt Mike. »Wollen wir nicht reingehen und etwas trinken?«
    Das Fußballspiel ist zu Ende, das Publikum hat sich zerstreut, und wir finden Hocker, die wir um einen freien Tisch herumstellen
     können, und für Papa sogar einen Stuhl mit Rückenlehne. Doch der Lärm hier drinnen ist zu viel für ihn, er starrt mit weit
     offenen Augen vor sich hin ins Leere. Dubov platziert seinen breiten Hintern auf dem kleinen Schemel, spreizt, um die Balance
     zu halten, die Knie auseinander, reckt das Kinn vor und saugt gierig die Atmosphäre um sich herum auf. Ich sehe, wie seine
     Augen über die Anwesenden wandern und wie er immer wieder hoffnungsvoll aufblickt, wenn jemand zur Tür hereinkommt.
    »Was möchtet ihr trinken?«, fragt Mike.
    Vater bittet um ein Glas Apfelsaft. Dubov möchte einen doppelten Whiskey. Für sich selbst bestellt Mike noch ein Bier. Mir
     wäre

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