Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Schule nicht wohl, von der er erzählt, dass die Jungen faul seien und
sexbesessen und nur immer endlos von ihren Besitztümern redeten, und das Leistungsniveau sei auch niedrig. Auch Valentina
ist unglücklich. Sie hat ihm ihren neuen Ehemann als gewalttätig und paranoid beschrieben, so dass sie sich wieder von ihm |276| scheiden lassen wolle. Allerdings glaubt er jetzt, da er den verehrten Herrn Ingenieur mit eigenen Augen gesehen hat (mit
dem er ja bereits eine sehr anregende Korrespondenz über Traktoren führte), Valentina habe wohl ein wenig übertrieben, wie
sie das schon früher hin und wieder einmal getan habe.
»Einer schönen Frau kann man schon verzeihen, wenn sie ein wenig übertreibt«, sagt er. »Die Hauptsache ist doch, dass alles
vergeben und vergessen ist. Und jetzt ist es an der Zeit, dass sie wieder nach Hause kommt.«
Er selbst ist durch ein Austauschprogramm mit der Universität von Leicester nach England gekommen, um seine Kenntnisse über
Supraleiter zu erweitern, und hat im Anschluss daran noch einige Wochen Urlaub genehmigt bekommen. Nun will er seine Frau
– die er trotz seiner Zustimmung zur Scheidung immer als seine Frau betrachtet hat – finden, um ihr Herz zurückzugewinnen.
»Sie hat mich einmal geliebt, und sie kann mich sicherlich auch wieder lieben.«
An seinen freien Tagen ist er mit dem Zug aus Leicester hergekommen und hat sich hier vor dem Haus auf die Lauer gelegt, in
der Hoffnung, sie abfangen zu können. Er hat die Stadt durchkämmt und bei der Vorsitzenden des Ukrainischen Clubs um Hilfe
gebeten, doch als ein Tag nach dem anderen verstrich, ohne dass Valentina auftauchte, fürchtete er allmählich, sie endgültig
verloren zu haben. Aber jetzt – jetzt hat er die Bekanntschaft des großen Majevski und seiner reizenden Tochter und seines
angesehenen Schwiegersohns gemacht, und jetzt werden sie ihm wohl weiterhelfen können.
Ich sehe, wie Vater erstarrt, als er erkennt, dass sein berühmter ukrainischer Gelehrter auch sein Rivale in Herzensdingen
ist. Sich von Valentina scheiden lassen zu wollen, ist eine Sache, aber eine andere ist es, mit ansehen zu |277| müssen, wie sie einem quasi vor der Nase weggeschnappt werden soll.
»Das müssen Sie mit Valentina selbst regeln. Ich habe den Eindruck, sie ist fest entschlossen, in England zu bleiben.«
»Ja, für ein so wunderschönes Gewächs wie sie bläst der Wind in der Ukraine momentan sehr kalt. Aber es bleibt ja nicht immer
so. Und wo Liebe ist, ist immer auch genug Wärme da, dass die Seele auf ihre Kosten kommt«, sagt ihr Mann, der intelligente
Typ.
Ich pruste in meine Teetasse, kann es aber gerade noch als Niesen kaschieren.
»Einen Haken hat das Ganze trotzdem«, sagt Vater. »Sie sind beide verschwunden, Valentina und Stanislav. Niemand weiß, wo
sie sind. Sie hat sogar die zwei Autos hier zurückgelassen.«
»Ich weiß, wo sie sind!«, verkünde ich triumphierend. Alle starren mich an, sogar Mike, der von der ganzen Unterhaltung kein
Wort verstanden hat. Vater fängt meinen Blick auf und sieht mich strafend an, als wolle er sagen, wehe, wenn du es ihm erzählst …
»Im Hotel Imperial! Sie wohnen im Hotel Imperial!«
Die Pubs in Peterborough haben samstagnachmittags immer Hochbetrieb wegen der vielen Leute, die zum Einkaufen in die Stadt
kommen, und wegen der Händler vom Markt und der Touristen. Auch im Hotel Imperial ist es brechend voll. Einige Stammgäste
sind mit ihren Gläsern nach draußen gegangen, stehen in Grüppchen um den Eingang herum und unterhalten sich über das Fußballspiel.
Ich stelle unseren Ford Escort ein paar Meter davon entfernt am Straßenrand ab. Wir beschließen, Mike als Kundschafter hineinzuschicken.
Er soll sich einfach unter die Gäste mischen und sehen, ob er Valentina oder Stanislav entdeckt |278| . Dann soll er unauffällig wieder herauskommen und Dubov Bescheid sagen, und dann kann der selbst hineingehen und seine Charme-Offensive
starten. Dubov und Vater sitzen hinten im Wagen und sehen beide sehr aufgeregt aus. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund sprechen
wir alle nur im Flüsterton.
Nach kurzer Zeit taucht Mike, ein Bierglas in der Hand, wieder auf und berichtet, es sei keine Spur von Valentina oder Stanislav
zu entdecken. Und auch niemand, auf den meine Beschreibung des kahlen Ed passt – was hinten im Wagen einen doppelten Seufzer
der Enttäuschung auslöst.
»Lass mich mal nachsehen«, sagt Papa und fingert
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