Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
vertreten. Ms. Carter stellt uns vor, wir
schütteln uns die Hand, und ich habe sofort wieder vergessen, wie er heißt. Ich frage mich, was für ein Mensch er wohl ist,
dieser junge Mann, der eine so wichtige Rolle in unserem Leben spielen wird. Seine Amtstracht raubt ihm jede Individualität,
aber er wirkt energisch. Er sagt, er habe sich informiert, welcher Richter die Sitzung leite, es sei jemand, der in dem Ruf
stünde, sehr direkt und geradeheraus zu sein. Dann verschwinden Ms. Carter und er in einem Nebenzimmer.
Vera, Papa und ich bleiben uns selbst überlassen. Vera und ich schielen unaufhörlich zur Tür, weil wir uns fragen, wann Valentina
wohl endlich erscheint. Dubov ist in der Nacht nicht nach Hause gekommen, und morgens hatten wir eine kleine Auseinandersetzung
mit Vater, der sich plötzlich weigerte, überhaupt nach Peterborough mitzufahren. Jetzt machen wir uns Sorgen, ob und wie sich
Valentinas Anblick auf seine Haltung auswirken wird. Da Vera die Spannung nicht länger erträgt, nimmt sie ihre Zigaretten
und geht nach draußen. Ich greife nach Vaters Hand und halte sie fest. Vater ist ganz vertieft in ein kleines braunes Insekt,
das am Stamm einer der Kübelpflanzen herumturnt.
»Das ist, glaube ich, eine Art Coccinella«, sagt er.
Als Ms. Carter und der Anwalt zurückkommen, bringt uns die Gerichtsdienerin in den mahagonigetäfelten Verhandlungsraum |316| , wo gleichzeitig auch ein großer schlanker Mann mit silbergrauem Haar und einer Pilotenbrille mit Goldrand seinen Platz am
Richterpult einnimmt. Von Valentina oder ihrem Anwalt ist noch immer nichts zu sehen.
Der plädierende Rechtsanwalt erhebt sich und erläutert die Gründe, die zur Einreichung der Scheidungsklage geführt hatten,
gegen welche seines Wissens kein Einspruch vorliege. Er beschreibt die näheren Umstände dieser Ehe, wobei er insbesondere
den großen Altersunterschied und Vaters Gemütszustand nach dem schmerzlichen Verlust seiner ersten Frau betont. Er weist darauf
hin, dass es von Valentinas Seite verschiedene andere Beziehungen gegeben habe. Während er spricht, macht sich der Richter
mit wegen der Pilotenbrille nicht zu ergründendem Gesicht Notizen. Nun kommt der Anwalt auf Einzelheiten der bereits ergangenen
richterlichen Anordnung zu sprechen und auf die daraufhin nicht erfolgte Erfüllung dieser Anordnung. Vater nickt heftig, und
als die Rede auf die zwei Autos in seinem Vorgarten kommt, wirft er ein: »Ja! Genau! Und ich musste durch die Hecke!« Das
gibt dem Rechtsanwalt Gelegenheit, diese Geschichte noch einmal in ganzer Länge zu erzählen und dabei Vater eine Heldenrolle
zukommen zu lassen, wie er selbst es nicht annähernd so gut hätte zustande bringen können.
Als der Rechtsanwalt schon fast eine Stunde lang redet, entsteht draußen vor der Tür Bewegung. Die Tür öffnet sich einen Spalt,
die Gerichtsdienerin steckt den Kopf herein und sagt etwas zum Richter, worauf dieser zustimmend nickt. Dann fliegt die Tür
vollständig auf, und auf der Schwelle erscheint – Stanislav.
Stanislav hat sich ein wenig feingemacht. Er trägt seine Schuluniform und hat seine Locken mit Wasser geglättet. In der Hand
hält er einen Hefter mit Papieren, die sich selbstständig machen, als er in den Raum hereinstolpert. Als er |317| sich bückt, um sie wieder aufzusammeln, erkenne ich darunter Fotokopien von Vaters Gedichten und ihre mit Kinderschrift ins
Englische übertragenen Versionen. Vater springt auf und deutet auf Stanislav.
»Es war für ihn! Alles war für ihn! Weil sie meint, dass er ein Genie ist und unbedingt eine Oxford-Cambridge-Ausbildung bekommen
muss!«
»Nehmen Sie doch bitte wieder Platz, Mr. Majevski«, sagt der Richter.
Ms. Carter wirft ihm einen flehenden Blick zu.
Der Richter wartet, bis Stanislav wieder alles beisammen hat, und fordert ihn dann auf, nach vorn an den Richtertisch zu treten.
»Ich bin als Vertretung für meine Mutter gekommen.«
Vaters Anwalt springt auf, doch der Richter bedeutet ihm, sich wieder zu setzen. »Lassen Sie den jungen Mann sagen, was er
zu sagen hat. Vielleicht beginnen wir damit, dass du uns erzählst, warum deine Mutter nicht selbst hier vorstellig wird?«
»Meine Mutter ist im Krankenhaus«, sagt Stanislav, »weil sie ein Baby bekommt. Mr. Majevskis Baby.« Er lächelt sein zahnlückiges Grübchenlächeln.
»Das stimmt nicht!«, ruft Vera aufgebracht und schnellt in die Höhe. »Es ist nicht von meinem
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