Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Luft blasen. Neben ihr steht ein großgewachsener Mann im Anzug, der soeben
verstohlen eine Zigarette austritt. Als ich näher komme, erkenne ich ihn: Es ist der Richter.
Drinnen wartet Ms. Carter bei Vater. Er hat den Großteil der Zeit auf der Herrentoilette verbracht und ist jetzt ganz aufgeregt.
Er schwankt zwischen Hoffnung (»Der Richter wird ihr zweitausend Pfund zusprechen und damit habe ich meinen Frieden und meine
Erinnerungen«) und Verzweiflung (»Ich verkaufe alles und gehe ins Altenheim«). Ms. Carter versucht ihn zu beruhigen. Sie ist
sichtlich erleichtert, als ich mit dem Apfelsaft auftauche. Vater drückt das spitze Ende des Strohhalms durch die Silberfolie
und saugt gierig. Dann kommt Vera zurück und setzt sich auf seine andere Seite. »Sch-sch-sch«, macht sie, um ihn in seinem
lautstarken Schlürfen zu dämpfen. Er achtet nicht auf sie. Praktisch in letzter Minute hastet Stanislav völlig außer Atem
und schweißgebadet herein. Wo ist er nur gewesen?
Die Gerichtsdienerin öffnet die Tür und winkt uns in den Verhandlungsraum. Wenige Augenblicke später kommt der Richter herein.
Die Spannung ist unerträglich. Der Richter nimmt seinen Platz ein, räuspert sich und begrüßt uns erneut. Dann verkündet er
seine Entscheidung. Er spricht etwa zehn Minuten in sehr gewählten Worten und mit besonderer Betonung von Begriffen wie »Antragsteller«,
»Verfügung«, »Gesuch« und »Rechtskostenhilfe«. Der plädierende Rechtsanwalt zieht seine Augenbrauen ein wenig in die Höhe.
Ms. Carters Mundwinkel zucken. Wir anderen lauschen verblüfft, sogar unsere Scheidungsexpertin Vera. Wir verstehen schlicht
nicht, was er sagt.
|321| Als er mit seiner Rede zu Ende ist, herrscht Schweigen. Wir sitzen da wie unter einem Bann, als läge nach diesen langen unverständlichen
Beschwörungsformeln ein Zauber über dem Raum. Durch das große Fenster fallen Sonnenstrahlen herein, die sich in des Richters
Goldrandbrille und seinem Silberhaar verfangen und ihn erstrahlen lassen wie einen Engel. Dann wird das Schweigen von einem
gurgelnden Laut unterbrochen. Er kommt von Vater, der die letzten Tropfen Apfelsaft durch den Strohhalm zieht.
Bilde ich es mir nur ein, oder huscht tatsächlich ein Lächeln über das ansonsten ausdruckslose Gesicht des Richters? Er steht
auf – wir alle stehen auf – und geht geräuschlos in seinen polierten schwarzen Schuhen, mit deren Absätzen er Zigarettenstummel
austritt, über den blauen Teppich zur Tür und hinaus.
»Und was hat er nun eigentlich gesagt?«
Wir stehen in der Eingangshalle um Ms. Carter herum und halten uns an Plastikbechern mit Kaffee aus dem Automaten fest, obgleich
Koffein im Moment sicher das Letzte ist, was wir nötig haben.
»Nun, er hat Mr. Majevskis Scheidungsantrag zugestimmt«, sagt Ms. Carter und lächelt breit. Sie hat ihre schwarze Kostümjacke ausgezogen. An
ihrer Bluse zeichnen sich unter den Achseln kleine Schweißflecken ab.
»Und was ist mit dem Geld?«, fragt Vera.
»Er hat ihr nichts zugesprochen, weil ja auch nichts beantragt war.«
»Heißt das …?«
»Normalerweise werden Abfindungszahlungen bei der Scheidungsverhandlung geregelt, doch weil Valentina von niemandem hier vertreten
wurde, hat auch niemand eine diesbezügliche Forderung erhoben.« Man sieht ihr an, dass es sie Mühe kostet, nicht laut zu lachen.
|322| »Aber Stanislav …«, werfe ich ein.
»Ja, das war zwar ein Versuch, aber so informell geht es nicht. Man braucht einen offiziellen Vertreter. Ich nehme an, das
ist es, was Paul Stanislav gerade erklärt.«
Der junge Rechtsanwalt hat seine Perücke und Robe abgenommen. Jetzt sitzt er mit Stanislav in einer Ecke, hat ihm einen Arm
um die Schultern gelegt und tröstet ihn. Stanislav schluchzt laut.
Vater, der unser Gespräch aufmerksam verfolgt hat, reibt sich vergnügt die Hände. »Nichts kriegt sie! Hahaha! Zu gierig! Nichts
kriegt sie! Englische Gerichtsbarkeit ist die beste auf der ganzen Welt!«
»Aber …« Ms. Carter hält warnend einen Zeigefinger in die Höhe. »Was sie immer noch machen kann, ist auf Unterhalt klagen. Obwohl
es unter diesen Umständen wohl eher gegen den Vater des Kindes gehen dürfte. Falls sie weiß, wer es ist. Und falls … und falls …« Jetzt hat sie sich doch nicht mehr im Griff und prustet los. Wir warten gespannt, bis sie wieder weitersprechen kann. »Falls
sie einen Anwalt finden kann, der bereit ist, sie zu
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