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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Schmollmündchen. Immerhin sind die Zatshuks ihre Freunde, und vielleicht braucht
     sie sie ja einmal.
    »Hallo«, sage auch ich, und: »Ich setze mal eben Wasser auf.«
    Ich brauche ein wenig Zeit, um mich abzuregen und wieder ruhig atmen zu können.
     
    |116| Obwohl es schon Oktober ist, ist das Wetter noch so mild und sonnig, dass wir im Garten Tee trinken können. Mike und Stanislav
     stellen Liegestühle und einen alten wackeligen Campingtisch unter dem Pflaumenbaum auf.
    »Schön, dass ihr gekommen seid«, sagt Papa zu den Zatshuks und lässt sich in seinen knarrenden Liegestuhl fallen. »Guter Kuchen
     ist das. Solchen Kuchen hat meine Millotschka auch gebacken.«
    Valentina fasst das als Kränkung auf. »Tesco-Kuchen besser.«
    Mrs.   Zatshuk ist beleidigt: »Ich mag lieber selbstgebackenen Kuchen.«
    Mr.   Zatshuk kommt ihr zu Hilfe. »Warum kaufst du Kuchen in Tesco, Valentina? Warum backst du nicht selbst? Frauen sollten backen.«
    Valentina ist von ihrem Zusammenstoß mit mir noch geladen. »Ich kein Zeit für backen. Ganzes Tag arbeite für Geld. Kaufe Kuchen.
     Kaufe Kleider. Kaufe Auto. Mann nicht gut. Geizig. Nicht geben Geld.«
    Ich fürchte schon, dass sie ihr T-Shirt wieder hochzieht, aber sie begnügt sich mit einem dramatischen Schwenk ihres Busens in Vaters Richtung. Dessen Blick wandert
     hilfesuchend zu Mike, der jedoch, weil er nicht genug Ukrainisch versteht, um zu wissen, worüber gerade gesprochen wurde,
     unglücklicherweise das Thema Kuchen weiterverfolgt und sich bei Mrs.   Zatshuk einschmeichelt, indem er sich noch einmal ein großes Stück auf den Teller legen lässt. »Mmm. Schmeckt wunderbar.«
    Mrs.   Zatshuks rosige Wangen glühen auf. Sie tätschelt Mikes Schenkel. »Sie sind guter Esser. Ich mag Männer, die gute Esser sind.
     Warum isst
du
nicht mehr, Jurij?«
    Mr.   Zatshuk fasst das als Kränkung auf. »Zu viel Kuchen macht Bauch dick. Du bist dick, Margaritka. Bisschen dick.«
    |117| Mrs.   Zatshuk fasst das als Kränkung auf. »Besser dick als zu dünn. Schau Nadeshda an. Sie ist wie eine verhungerte Bangladesh-Lady.«
    Ich fasse das als Kränkung auf. Rechthaberisch ziehe ich den Bauch ein. »Dünn ist gesund. Dünne Menschen leben länger.«
    Jetzt lachen alle höhnisch.
    »Haha! Dünn ist Hunger! Dünn ist kein Essen haben! Dünne Menschen fallen tot um!«
    »Ich mag dick«, sagt mein Vater. Beschwichtigend fasst seine knorrige Hand nach Valentinas Brust und drückt leicht zu. Mir
     wird rot vor Augen. Ich springe auf, bleibe an einem Tischbein hängen und befördere die Teekanne und den restlichen Kuchen
     zu Boden.
    Dieser Nachmittagstee war kein Erfolg.
     
    Nachdem die Zatshuks sich verabschiedet haben, müssen Tassen gespült und schmutzige Tischdecken gewaschen werden. Valentina
     zieht sich Gummihandschuhe über ihre rosa lackierten Finger. Ich schiebe sie beiseite.
    »Ich wasche ab«, sage ich. »Mir macht es nichts aus, mir die Hände schmutzig zu machen. Du bist ja offensichtlich zu fein
     für so etwas, Valentina. Zu fein für meinen Vater – findest du nicht? Nur nicht zu fein, um sein Geld auszugeben, oder?«
    Sie stößt einen Schrei aus. »Du bös Weib! Du Krähe! Raus aus mein Küche! Raus aus mein Haus!«
    »Das ist nicht dein Haus!«, kreische ich zurück. »Das ist das Haus meiner Mutter!«
    Vater stürzt zur Tür herein. »Nadeshda! Warum steckst du deine Nase in meine Angelegenheiten? Das geht dich nichts an!«
    »Du bist ja wohl nicht mehr ganz bei Trost, Papa! Erst beklagst du dich bei mir, dass Valentina dein ganzes Geld |118| ausgibt. Leih mir hundert Pfund. Leih mir fünfhundert Pfund. Und dann sagst du, ich soll meine Nase da nicht reinstecken.
     Was willst du eigentlich?«
    »Ich rede von Geld borgen. Nicht von Nase hineinstecken.« Er hat die Kiefer zusammengepresst, die Fäuste geballt. Beginnt
     am ganzen Leib zu zittern. Früher einmal hat mich dieser Anblick erschreckt, aber inzwischen bin ich größer als er.
    »Papa, wieso sollte ich dir Geld geben für dieses habgierige, falsche, angemalte   …« Flittchen, Flittchen, Flittchen!, denke ich. Aber meine feministischen Lippen weigern sich, das Wort auszusprechen.
    »Raus jetzt, Nadeshda! Geh und komm nie wieder! Du bist nicht mehr meine Tochter!« Er starrt mich an. Aus seinen Augen spricht
     blanker Wahnsinn.
    »Gut so«, sage ich. »Ist mir nur Recht. Wer will schon so einen Vater haben? Knutsch ruhig herum mit deinem großbusigen Weib,
     aber lass mich in Ruhe.«
    Damit

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