Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
wollen reden?« Valentina baut sich ein wenig zu nah vor mir auf. Ihr grellroter Lippenstift ist an den Mundwinkeln
verschmiert.
»Ich glaube, du weißt sehr gut, warum, Valentina.«
»Weiß ich? Warum weiß ich?«
Eigentlich wollte ich ein vernünftiges Gespräch mit ihr führen, wollte ihr kühl meine Argumente vor Augen halten, sie freundlich,
aber bestimmt dazu bringen zuzugeben, dass es nicht richtig war, was sie getan hat, und dass es nicht so weitergehen kann.
Doch jetzt fühle ich nur blinde Wut, und alle meine Argumente haben sich in Luft aufgelöst.
»Schämst du dich eigentlich nicht?« Unbewusst rutsche ich in ein halb englisches, halb ukrainisches Kauderwelsch hinein.
»Ich schämen? Schämen? Ich?«, schnaubt sie. »Du schämen! Nicht ich. Warum du nicht bei dein Mama Grab? Warum du nicht weinen,
nicht bringen für sie Blumen? Warum du machen Ärger hier?«
Der Gedanke daran, dass Mutter schmählich verraten unter der Erde liegt, während dieses Weib sich in ihrer Küche aufspielt,
bringt mich noch ein wenig höher auf die Palme.
»Untersteh dich, auch nur ein Wort über meine Mutter zu sagen! Untersteh dich, auch nur ihren Namen in deinen Mund zu nehmen,
du halbseidene Person!«
»Dein Mutter sterben. Jetzt dein Vater mich heiraten. Du nicht mögen. Du machen Ärger. Ich versteh. Ich nicht blöd.«
|114| Wir blaffen uns an wie Straßenköter.
»Valentina, warum musst du mit zwei Autos durch die Gegend fahren, wenn mein Vater nicht einmal genug Geld hat, um für das
eine die Reparaturkosten zu bezahlen? Warum musst du andauernd in die Ukraine telefonieren, obwohl du weißt, dass er sich
das Geld für die Telefonrechnungen von mir leihen muss? Kannst du mir das bitte mal sagen?«
»Er geben dir Geld, jetzt du geben ihm Geld«, höhnt der rote Mund.
»Warum soll mein Vater deine Autos finanzieren? Deine Telefonrechnungen? Du hast Arbeit. Du verdienst Geld. Du solltest etwas
beitragen zu eurem Haushalt.« Ich habe mich so in meine Wut hineingesteigert, dass die Worte nur so aus mir herauspurzeln,
wild durcheinander auf Englisch und Ukrainisch.
»Dein Vater mir kaufen gar nichts!« Sie steht so nah vor mir, als sie mir ins Gesicht schreit, dass ich Spucketröpfchen auf
meiner Haut fühle. Ich rieche Achselschweiß und Haarspray.
»Nicht Auto! Nicht Schmuck! Nicht Kleider! Nicht Kosmetik! Nicht Unterwäsche!«
Sie rafft ihr T-Shirt in die Höhe und präsentiert ihre enormen Brüste, die wie zwei Raketensprengköpfe aus der grünen Satin-Abschussbasis ihres
mit Lycra-Spitzen und Bändchen verzierten BHs herausragen.
»
Ich
kaufe alles! Ich arbeite! Ich kaufe!«
Wenn es um Busen geht, muss ich die Waffen strecken. Mir fehlen einfach die Worte. In unser Schweigen hinein dringt von nebenan
Vaters Stimme. Jetzt erzählt er Mike die Geschichte von den Bleistiften im All. Ich habe sie mir schon des Öfteren anhören
müssen. Mike auch.
»Zu Beginn der Raumfahrt tauchte bei den Experimenten mit der Schwerelosigkeit ein interessantes Problem auf. Die Amerikaner
entdeckten, dass man in der Schwerelosigkeit |115| mit einem normalen Füllfederhalter nicht schreiben kann. Wie also Notizen machen oder Berichte schreiben? Wissenschaftler
wurden darauf angesetzt und entwickelten nach langwierigen Untersuchungen High-Tech-Stifte, die auch in der Schwerelosigkeit
funktionieren. In Russland hatten sie dasselbe Problem, aber eine andere Lösung. Sie nahmen einfach Bleistifte. Deshalb schickten
die Russen Bleistifte ins All.«
Wie kann mein Vater sich nur so blind stellen für das, was um ihn herum vorgeht? Ich sage zu Valentina: »Mein Vater ist ein
unschuldiger Mensch. Dumm, aber unschuldig. Du gibst dein ganzes Geld für Nutten-Unterwäsche und für Nutten-Make-up aus. Machst
du das, weil er dir nicht reicht? Bist du hinter einem anderen Mann her, oder hinter zwei oder drei oder vier, ja? Ich weiß,
was du für eine bist, und früher oder später wird mein Vater es auch wissen. Und dann sehen wir weiter.«
Stanislav ruft: »Wow! Ich wusste gar nicht, dass Nadeshda so gut Ukrainisch spricht!«
Dann klingelt es an der Tür. Mike macht auf. Es sind die Zatshuks. Sie stehen mit Blumen und selbstgebackenem Kuchen auf der
Schwelle.
»Nur herein!«, sagt Mike. »Sie kommen gerade recht zum Tee.«
Aber sie bleiben zögernd im Flur stehen. Sie haben Valentinas Gewittermiene erspäht. (Die Brüste sind wieder verhüllt.)
»Hallo«, sagt Valentina und verzieht ihr
Weitere Kostenlose Bücher