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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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schnappe ich meine Sachen und stürze zum Wagen hinaus. Kurz darauf kommt Mike auch.
    Als wir die letzten Häuser von Peterborough hinter uns haben und Felder und Wiesen vor uns, versucht Mike, das Ganze ins Scherzhafte
     zu ziehen: »Ihr seid wirklich eine verrückte Familie.«
    »Halt den Mund!«, schreie ich ihn an. »Halt du bloß den Mund und misch dich da nicht ein!« Gleichzeitig schäme ich mich. Dass
     ich mich von dem Wahnsinn anstecken lasse. Schweigend fahren wir weiter. Mike sucht die Sender im Radio nach besänftigender
     Musik ab.

|119| 9.
Weihnachtsgeschenke
    Eines späten Abends, nicht lange nach diesem Besuch, ruft Stanislav bei meiner Schwester an. Ihre Telefonnummer hat er in
     Vaters Adressbuch gefunden.
    »Bitte. Du musst irgendetwas unternehmen   … diese furchtbaren Streitereien   … andauernd schreien sie sich an   …«, schluchzt er in die Leitung.
    Vera unternimmt etwas. Sie ruft im Innenministerium an. Dort sagt man ihr, sie solle eine schriftliche Eingabe machen.
    Aufgebracht ruft sie mich an. »Dieses Mal machen wir es gemeinsam, und wir unterzeichnen es beide. Ich will nicht, dass er
     uns gegeneinander ausspielt. Und ich will auch nicht, dass du als das liebe Kind dastehst, weil du dich raushältst, während
     ich die Drecksarbeit mache und dafür dann auch noch enterbt werde.«
    »Mal sehen«, sage ich. »Ich möchte lieber erst mal mit ihm reden und sehen, ob ich herausfinde, was da los ist. Ich will nichts
     machen, was uns allen beiden hinterher vielleicht leid tut.« Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht mehr um
     ihn gekümmert habe.
    Ich rufe Vater an. Es knistert im Telefon, als er den Hörer abnimmt, dann höre ich ihn kurz und heftig atmen.
    »Hallo? Nadeshda? Ach – gut, dass du anrufst.«
    »Wie geht’s, Papa?«
    »Na ja, nicht so gut mit Valentina. Gibt Probleme. Sie tut |120| so, als wenn sie mich nicht mehr leiden kann. Sagt mir, ich bin nichts wert   … Insekt, muss zertreten werden   … schwachsinnig, gehört eingesperrt   … schon tot, soll mich eingraben lassen   … und so weiter.« Er hustet viel, während er vor sich hin stammelt. Seine Stimme klingt erschöpft, als verursache ihm jedes
     einzelne Wort Schmerzen.
    »Oh, Papa.« Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber er scheint Vorwürfe zu erwarten.
    »Ist natürlich nicht nur ihre Schuld. Hat viel Druck durch Verzögerungen im Innenministerium. Und muss auch so hart arbeiten.
     Arbeitet tagsüber im Pflegeheim und abends im Hotel. Macht sie müde, und dann wird sie leicht wütend.«
    Ich bin auch wütend – wütend auf Valentina und wütend auf ihn.
    »Aber Papa, jeder konnte vorhersehen, dass das passieren würde. Jeder, nur du nicht.«
    »Sag Vera nichts, bitte. Sie sagt sonst   …«
    »Papa, Vera weiß Bescheid. Stanislav hat sie angerufen.«
    »Stanislav hat Vera angerufen?«
    »Er hat geweint am Telefon.«
    »Schlimm. Sehr schlimm. Aber   … was auch passiert   … wenigstens bis sie ihre Aufenthaltsgenehmigung hat, müssen wir zusammenbleiben   … danach gehen sie fort, und dann habe ich meine Ruhe.«
     
    Doch Vera und ich wollen es nicht darauf ankommen lassen. Ich entwerfe einen Brief an die Einwanderungsbehörde im Innenministerium,
     Lunar House, Croydon, in dem ich die Geschichte von Valentinas Heirat mit unserem Vater und ihre Beziehung zu Bob Turner darlege.
     Ob sich das mit meinen liberalen Grundsätzen vereinbaren lässt, kümmert mich nicht mehr. Ich will nur noch, dass diese Frau
     verschwindet. Ich schildere die Art des Zusammenlebens |121| (die getrennten Schlafzimmer) und die Tatsache, dass die Ehe nie vollzogen wurde – weil ich überzeugt bin, für das Establishment
     geht es in der Ehe um Sex mit Penetration und um nichts anderes. Der spröde Ton meines Schreibens gefällt mir.
     
    Im Frühjahr dieses Jahres erhielt Mrs.   Dubova ein zweites Halbjahresvisum, kam im April über Ramsgate ins Land und wohnte wieder bei Mr.   Turner. Im Juni wurden sie und mein Vater in der katholischen Kirche in Peterborough getraut.
    Nach der Hochzeit zog Mrs.   Dubova jedoch nicht zu unserem Vater, sondern lebte weiterhin bei Mr.   Turner in der Hall Street. Erst nach Ende des Schuljahres zogen Mrs.   Dubova (inzwischen Mrs.   Majevska) und ihr Sohn Stanislav bei unserem Vater ein. Doch teilte sie nie das Schlafzimmer mit ihm, und die Ehe wurde nie
     vollzogen.
    Anfangs schien alles so weit in Ordnung. Wir dachten, auch wenn Mrs.   Dubova (jetzt Mrs.  

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