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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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dachte,
er
hätte den Wagen gekauft.«
    »Jetzt geht es um einen anderen. Um einen Lada. Den kauft sie selbst, weil sie ihn in die Ukraine bringen will.«
    »Das heißt, sie hat zwei Autos?«
    »Scheint so. Diese Leute sind – sie sind nun mal Kommunisten. Tut mir leid, Nadeshda, ich weiß, was du sagen willst, aber
     sie haben eben immer alles gehabt, was sie haben wollten, jeden Luxus, sämtliche Privilegien, alles, und jetzt, wo sich dort
     das System geändert hat und sie sich nichts mehr unter den Nagel reißen können, kommen sie zu uns herüber und versuchen es
     hier. Entschuldige, aber   …«
    »Ganz so einfach ist es auch wieder nicht, Vera.«
    »Hierzulande sind Kommunisten nur harmlose kleine Leute mit Sandalen und Bärten. Aber sobald sie an die Macht kommen, kommt
     ein ganz anderer Menschenschlag zum Vorschein, dann zeigt sich nämlich, wie böse sie sind, wie kriminell.«
    »Nein, Vera, es sind immer dieselben Typen, die an der Macht sind. Nur dass manche sich als Kommunisten bezeichnen, andere
     als Kapitalisten, wieder andere als Repräsentanten irgendeiner Religion – was auch immer ihnen hilft, sich an der Macht zu
     halten. Die früheren Kommunisten in Russland sind dieselben Leute, die heute sämtliche Industrien in der Hand haben. Das sind
     die wirklichen Absahner. Aber den Mittelstand, Leute wie Valentinas Mann zum Beispiel, hat es sehr hart getroffen.«
    »Es war mir klar, dass du anderer Meinung bist, Nadeshda, aber darum geht es mir gar nicht. Deine Einstellung kenne ich zur
     Genüge. Ich wollte nur sagen, dass ich gleich wusste, wen wir da vor uns haben.«
    »Obwohl du sie noch nicht einmal gesehen hast.«
    |109| »Du hast sie mir sehr genau beschrieben.«
    Dumme Kuh. Es ist einfach zwecklos, sich mit ihr auf eine Diskussion einzulassen. Aber dass sie trotz unserer neu geschmiedeten
     Allianz weiter so auf mir herumhackt, ärgert mich wirklich.
     
    Ich rufe bei Vater an.
    »Ah«, sagt er, »der Lada. Den hat sie für ihren Bruder gekauft. Weißt du, ihr Bruder lebte in Estland, aber sie haben ihn
     ausgewiesen, weil er bei der Sprachprüfung durchgefallen ist. Er ist doch Russe. Spricht kein Wort Estländisch. Und weil die
     neue estländische Regierung seit der Unabhängigkeit die Russen aus dem Land haben will, musste er also fort. Bei Valentina
     ist es etwas anderes. Sie spricht ja sowohl Russisch als auch Ukrainisch, und zwar beides sehr gut. Stanislav auch. Gutes
     Vokabular, gute Aussprache.«
    »Der Lada, Papa.«
    »Ah, ja, der Lada. Valentinas Bruder hatte einen Lada. Ist aber leider kaputt. Sein Gesicht auch. Das war, als er einmal nachts
     angeln gegangen ist. Hatte ein Loch ins Eis geschlagen und gefischt. Ist sehr kalt, man muss lange Zeit im Schnee sitzen und
     auf Fische warten. Wirklich sehr kalt, Estland. Er hat Wodka getrunken, um sich zu wärmen. Alkohol ist natürlich kein Brennstoff
     wie Kerosin oder Dieselkraftstoff, mit dem man Traktoren fahren kann, aber bestimmte wärmende Eigenschaften hat er auch. Zu
     einem gewissen Preis allerdings. Hatte nämlich zu viel getrunken und ist beim Heimfahren auf dem Eis ins Schleudern gekommen.
     Lada kaputt, Gesicht auch kaputt. Jetzt frage ich mich natürlich, warum soll ich jemandem helfen, der nicht nur kein Ukrainer
     ist, sondern sogar so sehr ein Russe, dass er den estländischen Sprachtest nicht besteht. Kannst du mir das sagen?«
    »Sie hat ihm also einen neuen Lada gekauft?«
    |110| »Nicht neu, gebraucht. Und auch nicht zu teuer. Nur eintausend Pfund. Weißt du, Lada ist hier nicht chic.« (»Chic« sagt er,
     wie ein Franzose. Er spielt gern einmal den Frankophonen.) »Die Karosserie ist zu schwer für den Motor. Benzinverbrauch zu
     hoch. Getriebe altmodisch. Aber für die Ukraine sind Ladas nicht schlecht wegen der Ersatzteile. Kann ja auch sein, dass er
     gar nicht für ihren Bruder ist. Kann sein, dass sie ihn verkauft und ein gutes Geschäft damit macht.«
    »Und jetzt fährt sie also mit zwei Autos durch die Gegend?«
    »Nein. Lada steht in der Garage. Rover steht in der Einfahrt.«
    »Aber für ihre Telefonrechnung hat sie kein Geld.«
    »Ah, das Telefon. Das ist wirklich ein Problem. Zu viele Gespräche. Mit Mann, Bruder, Schwester, Mutter, Onkel, Tante, Freundin,
     Cousine. Ab und zu auf Ukrainisch, meistens auf Russisch.« Als wenn es ihm nichts ausmachen würde, die Rechnung zu bezahlen,
     wenn sie nur auf Ukrainisch telefonieren würde. »Keine klugen Gespräche. Nur Klatsch.« Die Kosten für

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