Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
stellt ihm eine Reihe Fragen: »Wie lange sind Sie schon verheiratet? Haben Sie sexuelle Probleme? Warum genau sind
Sie jetzt zu mir gekommen?«
Vater antwortet immer nur: »Ich weiß nicht.« Dann wird er dramatisch und deutet anklagend auf Valentina: »Weil sie mich hergeschleppt
hat. Diese Hexe!«
Dr. Pollock lehnt es ab, der Einwanderungsbehörde schriftlich zu bestätigen, dass Vater zu krank sei, um an der Anhörung teilnehmen
zu können. Aber sie erklärt meinem Vater, sie werde einen Termin beim Psychiater des Kreiskrankenhauses von Peterborough für
ihn vereinbaren.
»Siehst du«, triumphiert Valentina, »Doktorin sagt, du verrückt!«
Vater schweigt. Dass es darauf hinauslaufen könnte, hatte er nicht einkalkuliert.
»Glaubst du auch, dass ich verrückt bin, Nadia?«, fragt er mich, als wir tags darauf miteinander telefonieren.
|144| »Na ja, Papa, um ehrlich zu sein, ein bisschen schon. Ich habe es schon für verrückt gehalten, dass du Valentina geheiratet
hast – weißt du noch?« (Am liebsten würde ich laut rufen: Haha! Ich hab’s dir ja gesagt! Aber ich beiße mir auf die Zunge.)
»Ach, das war nicht verrückt. Das war einfach nur ein Fehler. Jeder Mensch macht Fehler.«
»Das stimmt«, sage ich. Ich ärgere mich zwar immer noch über ihn, aber er tut mir auch leid.
»Was soll eigentlich dieses Gerede über Oralsex?«, frage ich Vera. Unser Meinungsaustausch wird richtig kumpelhaft.
»Ach, das ist so eine schmutzige Idee von Margaritka Zatshuk. Offenbar hat Valentina ihr erzählt, dass wir versuchen wollen,
die Ehe annullieren zu lassen, mit der Begründung, sie sei nie vollzogen worden.«
»Ja – aber haben sie denn …?«
»Entschuldige, Nadeshda, aber das ist wirklich zu unappetitlich, um auch noch lange darüber zu reden.«
Von Papa erfahre ich trotzdem Näheres.
Valentina hatte sich mit ihrer Freundin Margaritka Zatshuk unterhalten, die ihr einiges zu erzählen hatte. Die alte Mrs. Majevski sei verschlagen und geizig gewesen und hätte, als sie starb, ein großes Vermögen zusammengespart gehabt – hunderttausend
Pfund. Die müssen irgendwo im Haus versteckt sein. Warum ihr geiziger Gatte Valentina das Geld nicht gebe? Der geizige Gatte
gluckst vor sich hin, als er mir das erzählt. Und wenn Valentina das ganze Haus auf den Kopf stellt, sie wird nirgends auch
nur einen einzigen Penny aufstöbern.
Mrs. Zatshuk hat Valentina ein neues Wort beigebracht: Oralsex. Ist, wie sie sagt, sehr populär in England. Kann man in jeder Zeitung
etwas darüber lesen. Anständige Menschen |145| aus Ukraina machen nicht Oralsex. Geiziger Gatte hat zu lang in England gelebt, liest englische Zeitungen, haben ihn auf die
Idee mit Oralsex gebracht. Sehr gut, sagt Mrs. Zatshuk, Oralsex, weil jeder weiß, dann ist es echte Ehe und hinterhältiger Mann kann nicht mehr sagen, ist keine echte Ehe.
Und Mrs. Zatshuk sagt Valentina noch etwas anderes: Wenn sie sich von diesem Mann, der so geizig ist und seine Frau schlägt, scheiden
lässt, kann sie sicher sein, dass sie wegen Oralsex die Hälfte von seinem Haus bekommt. Das ist Gesetz in England.
Valentina, angefeuert vom Traum von unvorstellbarem Reichtum, erklärt meinem Vater: »Zuerst ich bekomme Dauervisum, dann Scheidung.
Nach Scheidung ich bekomme Hälfte von Haus.«
»Warum machen wir das denn nicht gleich?«, fragt Vater. »Teilen wir doch das Haus auf. Du und Stanislav geht nach oben, ich
bleibe unten.«
Sofort beginnt er Pläne zu zeichnen, einen Plan fürs Erdgeschoss, einen für den ersten Stock, hier müssen Türen zugemauert,
dort Öffnungen für neue durchgebrochen werden. Ein Blatt Zeichenpapier nach dem anderen füllt er mit kritzeligen Skizzen.
Er bittet die Nachbarn, ihm sein Bett nach unten ins Wohnzimmer mit den Äpfeln zu tragen – in Mutters Sterbezimmer. Weil ihm
das Treppensteigen schwer falle, erzählt er Vera.
Doch es ist viel zu kalt im Raum, und er ist nicht bereit, die Heizung anzustellen – wegen der Äpfel. Er hustet und niest
ununterbrochen, bis Valentina, die – so sagt Papa – fürchtet, er könne sterben, bevor sie ihren Pass bekommen hat, ihn zu
Dr. Figges fährt. Diese erklärt ihm, er müsse sich nachts unbedingt warm halten. Nun lässt er sein Bett ins Esszimmer schaffen,
das neben der Küche liegt, wo die Therme für die Zentralheizung Tag und Nacht angestellt |146| bleibt. Der Durchgang zwischen Esszimmer und Küche ist eigentlich offen,
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