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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Faden angenäht. Auf dem Kopf trägt er eine grüne Schirmmütze, die er vor zwanzig Jahren im Coop in Peterborough
     gekauft hat und als »
lordowska kepotschka
« – Aristokratenmütze – bezeichnet. Valentina schneidet ihm mit der Küchenschere noch die Haare, damit er ein wenig ordentlicher
     aussieht, zieht ihm die Krawatte gerade und gibt ihm sogar ein Küsschen auf die Wange.
    Sie werden in einen freudlosen beige gestrichenen Raum geführt, wo zwei Männer in grauen Anzügen und eine Frau in einer grauen
     Strickjacke hinter einem braunen Tisch sitzen, auf dem neben einer Wasserkaraffe und drei Gläsern einige Stapel Papier liegen.
     Valentina ist zuerst an der Reihe. Auf die Fragen, die man ihr stellt, erklärt sie ausführlich, wie Vater und sie sich im
     Ukrainischen Club in Peterborough kennen gelernt haben, wie sie sich auf den ersten Blick ineinander verliebten, wie er sie
     mit Gedichten und Liebesbriefen umworben hat, wie sie in der Kirche geheiratet haben und wie glücklich sie miteinander sind.
    |149| Als Vater an die Reihe kommt, fragt er leise, ob er seine Aussage in einem anderen Raum machen dürfe. Die Beamten der Einwanderungsbehörde
     diskutieren kurz miteinander, kommen jedoch zu dem Schluss, das sei nicht erlaubt und er müsse hier vor aller Ohren die Fragen
     beantworten.
    »Ich werde also genötigt, hier auszusagen«, sagt er. Sie stellen ihm dieselben Fragen wie Valentina und er antwortet genau
     dasselbe wie sie. Nur am Ende sagt er: »Vielen Dank. Jetzt vermerken Sie aber bitte noch, dass ich meine Aussage aufgrund
     von Nötigung gemacht habe.«
    Er verlässt sich darauf, dass Valentinas Englisch nicht ausreicht, um zu verstehen, was er da sagt.
    Die Beamten machen sich hektisch Notizen, doch keiner hebt auch nur den Kopf, um meinem Vater in die Augen zu schauen. Valentina
     zieht kurz eine Augenbraue in die Höhe, behält aber ihr aufgesetztes Lächeln bei.
    »Was bedeutet das, ›aufgrund von Nötigung‹?«, fragt sie ihn, als sie auf den Zug warten, um wieder heimzufahren.
    »Wirbelsturm«, sagt mein Vater, »es bedeutet, dass ich dich liebe wie ein Wirbelsturm.«
    »Oh,
golubtschik
, du – mein Täubchen«, strahlt Valentina und drückt ihm ein Küsschen auf die Wange.

|150| 12.
Ein angebissenes Schinkensandwich
    »Was glaubst du, wie hat Mrs.   Z. eigentlich erfahren, dass wir vorhaben, die Ehe annullieren zu lassen?«, fragt Vera.
    Die Scheidungsexpertin und die Schickt-sie-alle-zurück-Aktivistin stecken wieder einmal telefonisch die Köpfe zusammen.
    »Valentina muss den Brief des Rechtsanwalts gesehen haben.«
    »Das heißt, sie liest seine Post.«
    »Sieht so aus.«
    »Nicht dass mich das wundert – bei dieser kriminellen Veranlagung.«
    »Aber zu jedem Spiel gehören zwei.«
     
    Als wir das nächste Mal zu Besuch kommen, lasse ich Mike die Traktor-Monologe im Wohnzimmer mit den Äpfeln allein verfolgen,
     während ich nach oben verschwinde, um Valentinas Zimmer zu inspizieren. Sie hat sich im ehemaligen Elternschlafzimmer eingerichtet.
     Es ist ein hässlicher düsterer Raum mit schweren Eichenmöbeln aus den fünfziger Jahren – im Kleiderschrank hängen noch Mutters
     Kleider   –, zwei Betten mit gelben Steppdecken, Vorhängen mit einem seltsam modernistisch anmutenden schwarz-gelb-malvenfarbenen Muster,
     die Vater damals ausgesucht hatte, und einem blauen Läufer auf dem braunen Linoleumboden. |151| Für mich war dieses Zimmer das Allerheiligste meiner Eltern und deshalb immer auch ein geheimnisvoller und furchteinflößender
     Ort. Umso verblüffter bin ich nun zu sehen, dass Valentina ihn in eine Art Hollywood-Boudoir verwandelt hat, mit pinkfarbenen
     Nylonpelz-Kissen, allerlei rüschenbesetzten Behältnissen für Papiertaschentücher, Watte und Kosmetika, Bildern von großäugigen
     Kindern an den Wänden, Plüschtieren auf dem Bett und Döschen und Fläschchen mit Cremes, Lotionen und Parfums auf der Spiegelkommode,
     die offenbar alle aus den Katalogen geordert wurden, die aufgeschlagen auf dem Boden liegen.
    Doch was in diesem Zimmer am meisten ins Auge sticht, ist die Unordnung, ein unbeschreibliches Chaos aus Papieren, Kleidern,
     Schuhen, schmutzigen Tassen, Nagellackfläschchen, Kosmetiktöpfchen, Brotkrümeln, Haarbürsten, Pinzetten, Zahnbürsten, Strümpfen,
     Keksen, Schmuck, Fotografien, Bonbonpapieren, Nippes, benutzten Tellern, Unterwäsche, Apfelresten, Heftpflastern, Prospekten,
     Verpackungsmaterial und klebrigen Bonbons. Alles liegt

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