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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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ganze Mann ein einziges Drama. »Warum
     auch nicht? Ist doch alles gleich. Wenn sie jetzt den Kommunismus auch hierher bringen, weiß ich nicht mehr, warum ich aus
     Russland fortgegangen bin. Ich weiß nicht mehr, warum ich alles aufs Spiel gesetzt habe. Sogar meine eigene Tochter hilft
     mit, den Kommunismus hierher zu bringen.«
    Ja, es war alles meine Schuld. Ich bin 1962 mit meiner Freundin Cathy nach Greenham Common gefahren, um gegen die geplante
     Stationierung von Wasserstoffbomben dort zu protestieren, und wurde festgenommen. (1981 fuhr ich wieder hin, aber das ist
     eine andere Geschichte.) Wir trugen Röhrenhosen und Stirnbänder und schicke Sonnenbrillen und hockten auf der neu angelegten
     Zufahrtsstraße. Als die Polizei kam und uns einen nach dem anderen wegtrug, las ich in der Schulausgabe von Julius Caesars
     ›De bello gallico

. Auch wenn ich mit gewaltlosem bürgerlichem Widerstand den Staat herausforderte, war ich immer noch meines Vaters Tochter
     und machte meine Lateinhausaufgaben.
    Jemand klimperte auf einer Gitarre, und alle sangen: »
Don’t you hear the H-bombs thunder, sounding like the crack of doom? While they tear the heavens asunder, fallout makes the
     earth a tomb.
« Oh ja, ich hörte die Bomben. Ich sah die Luft im Fallout flirren und spürte den merkwürdigen Niederschlag auf der Haut.
     Ich glaubte fest daran, dass mein Leben zu Ende sein würde, bevor es richtig begonnen hatte, wenn wir diese Wasserstoffbomben
     nicht ein für alle Mal los wurden. Aber trotzdem wollte ich auf alle Fälle meine Studienlektüre durcharbeiten.
    Die anderen Demonstranten waren älter als Cathy und ich. Manche hatten lange strähnige Haare, liefen barfuß |194| und trugen ausgeblichene Jeans und Sonnenbrillen. Andere waren nette, brave Heilsarmee-Typen mit vernünftigem Schuhwerk und
     Strickjacken. Sie hörten nicht auf zu singen, als die Polizisten sie an Armen und Beinen hochhoben, um sie in Möbelwagen zu
     verladen (offensichtlich standen nicht genug grüne Minnas zur Verfügung). Cathy und ich sangen nicht mit – wir wollten nicht
     so bekloppt aussehen.
    In der örtlichen Grundschule hatte man einen behelfsmäßigen Verhandlungssaal eingerichtet. Wir saßen auf Kinderstühlen und
     wurden nacheinander einzeln nach vorn ans Pult gerufen. Dort gab jeder eine Erklärung ab über das Übel des Krieges, woraufhin
     er zu einer Ordnungsstrafe von drei Pfund plus zusätzlich zwei Pfund für Gerichtskosten verurteilt wurde. Weil mir, als ich
     an die Reihe kam, nichts einfiel, was ich hätte sagen können, musste ich nur drei Pfund bezahlen (ein gutes Geschäft!). Ich
     hatte ein falsches Geburtsdatum angegeben, um zu verhindern, dass meine Eltern informiert wurden, aber irgendwie erfuhren
     sie es trotzdem.
     
    »Kolja«, meine Mutter redete mit Engelszungen, »sie ist doch keine Kommunistin. Sie ist einfach nur ein dummes kleines Mädchen.
     Komm mit heim.«
    Vater antwortete nicht, sondern fixierte mit den Augen irgendeinen Punkt auf den Schienen. Der nächste Zug ging in vierzig
     Minuten. Allerdings nach Eynsham und Oxford, nicht nach Russland.
    »Koljusha, es ist sehr weit bis nach Russland. Komm wenigstens erst noch einmal nach Hause und iss etwas. Ich habe Borschtsch
     gekocht. Und Kotletki, deine Lieblings-Kotletki, mit Spinat und grünen Bohnen aus dem Garten und mit neuen kleinen Kartoffeln.
     Komm mit, damit du etwas in den Magen kriegst. Hinterher kannst du dann nach Russland fahren.«
    Immer noch böse vor sich hin brummend, ließ Vater sich |195| auf dem matschigen Pfad zwischen Brombeersträuchern und Brennnesseln zurückführen in sein kiesverputztes Zuhause. Grummelnd
     beugte er sich am Tisch über seinen Teller mit der dampfenden Suppe. Später beschwatzte Mutter ihn, nach oben ins Bett zu
     gehen. Und so fuhr er also nicht nach Russland.
    An seiner statt zog ich aus. Ich flüchtete mich zu Cathy, die mit ihrer Familie in White Oak Green in einem langgestreckten
     niedrigen Cotswold
-
Stein-Cottage voller Bücher, Katzen und Spinnweben lebte. Cathys Eltern waren linke Intellektuelle, die nicht nur nichts dagegen
     hatten, wenn Cathy an Demonstrationen teilnahm, sondern sie sogar noch dazu ermunterten. Sie redeten über Erwachsenen-Themen
     wie zum Beispiel ob England der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitreten sollte und wer Gott erschaffen hatte. Aber
     das Haus war kalt und das Essen schmeckte seltsam und nachts sprangen einen die Katzen an. Nach einigen Tagen

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