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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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von Scheidung, Nadia? Das ist doch Veras Thema. Zigaretten und
     Scheidung – pah!« Er presst die Kiefer zusammen. Seine arthritischen Finger verknoten sich ineinander.
    »Vera und ich sind uns da ganz einig, Papa. Wir denken, dass Valentina nicht aufhören wird, dich zu misshandeln, und wir machen
     uns Sorgen um deine Sicherheit.«
    »Wusstest du, dass Vera, als sie herausfand, dass es so etwas wie Scheidung gibt, sofort Ludmilla einreden wollte, sie sollte
     sich von mir scheiden lassen?«
    »Wirklich?« Das höre ich zum ersten Mal. »Ich bin sicher, sie hat das nicht ernst gemeint. Kinder sagen doch alle möglichen
     seltsamen Sachen.«
    »Sie hat es ernst gemeint. Und wie. Seit sie auf der Welt ist, hat sie nichts anderes im Sinn gehabt, als Millotschka |191| und mich auseinander zu bringen. Jetzt macht sie es bei Valentina genauso. Und du jetzt auch noch, Nadia.«
    Den Blick, mit dem er mich anstarrt, kenne ich. Er sagt mir, dass diese Unterhaltung zu nichts führen wird.
    »Aber Papa, mit Mutter hast du sechzig Jahre lang zusammengelebt. Du merkst doch wohl selbst, dass Valentina ganz anders ist
     als Mutter.«
    »Natürlich, Valentina kommt aus einer ganz anderen Generation. Valentina hat keine Ahnung von Geschichte und schon gar nicht
     von der jüngsten Vergangenheit. Sie ist ein Kind der Breschnew-Ära. Zu Zeiten von Breschnew wollten alle das, was früher war,
     begraben und werden wie im Westen. Um dieses Wirtschaftssystem aufzubauen, müssen die Leute ständig neue Dinge kaufen. Im
     selben Tempo, wie neue Wünsche geweckt werden, werden alte Ideale begraben. Deshalb will sie andauernd etwas Modernes kaufen.
     Es ist nicht ihre Schuld, es ist die Nachkriegsmentalität.«
    »Das ist aber keine Entschuldigung dafür, wie sie mit dir umgeht, Papa. Sie kann dich doch nicht so misshandeln.«
    »Einer schönen Frau kann man vieles verzeihen.«
    »Mein Gott, Papa!«
    Die Brille ist ihm über die Nase gerutscht und sitzt ihm schief im Gesicht. Sein Hemd hat er am Kragen nicht zugeknöpft, so
     dass man um seine Narbe herum das weiße Brusthaar sprießen sieht. Er riecht säuerlich und ungewaschen. Dass er nicht unbedingt
     ein Don Juan ist, scheint ihn nicht zu beunruhigen.
    »Valentina ist schön, so schön wie Milla auch war, und sie ist auch so willensstark, aber dieses Grausame, das so typisch
     ist für den russischen Menschen, hatte Ludmilla nicht.«
    »Oh Papa, dass du Valentina und Mutter miteinander vergleichen kannst! Dass du überhaupt ihren Namen im gleichen Atemzug nennen
     magst!«
    |192| Diese Illoyalität kann ich ihm nicht verzeihen.
    »Du hast Mutters Leben verpfuscht und jetzt missbrauchst du auch noch ihr Andenken. Vera hatte schon Recht   – Mutter hätte sich beizeiten von dir scheiden lassen sollen.«
    »Ihr Leben verpfuscht, habe ich? Ihr Andenken missbrauche ich? Warum musst du aus allem so ein Drama machen, Nadia? Millotschka
     ist tot. Das ist natürlich traurig, aber das Leben mit ihr ist Vergangenheit. Jetzt ist es Zeit für ein neues Leben und eine
     neue Liebe.«
    »Papa, nicht ich mache ein Drama daraus, sondern du. Mein ganzes Leben lang – Mutters ganzes Leben lang – mussten wir mit
     deinen verrückten Ideen und deinen Dramen zurechtkommen. Erinnerst du dich, wie wütend Mutter war, als du alle diese Ukrainer
     eingeladen hast, zu uns zu kommen und bei uns zu wohnen? Erinnerst du dich, wie du die neue Norton gekauft hast, als Mutter
     eine Waschmaschine gebraucht hätte? Erinnerst du dich, wie du fortgegangen bist und mit dem Zug nach Russland zurückfahren
     wolltest?«
    »Aber das war nicht wegen Millotschka. Das war deinetwegen. Weil du damals eine verrückte Trotzkistin warst.«
    »Ich war keine Trotzkistin. Und selbst wenn ich es gewesen wäre, ich war damals erst fünfzehn, und du warst ein erwachsener
     Mann – hätte man meinen sollen.«
     
    Es stimmt ja, dass er meinetwegen weggehen und mit dem Zug zurück nach Russland fahren wollte. Er packte seinen braunen Pappkoffer
     – denselben, mit dem er damals aus der Ukraine gekommen war – und stellte sich am Bahnhof von Witney auf den Bahnsteig. Ich
     sehe ihn vor mir, wie er ungeduldig hin und her läuft, vor sich hin murmelt und ab und zu einen Blick auf seine Armbanduhr
     wirft.
    Mutter musste hingehen und ihm gut zureden.
    |193| »Nikolai! Kolja! Koljusha! Komm wieder mit nach Hause. Kolka, wo willst du denn hin?«
    »Ich warte auf den Zug nach Russland.« Heftige Kopfbewegung, flammender Blick – der

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