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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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kam meine Mutter
     und überredete auch mich, wieder heimzukommen.
     
    Jahre später erinnere ich mich noch genau an den Geruch des in der heißen Sonne schwitzenden frischen Teerbelags in Greenham
     Common und an den muffigen Geruch von Cathys Zimmer. Nur das Bild meines Vaters habe ich nicht mehr deutlich vor Augen, es
     ist unscharf, als sei etwas Dunkles, aber sehr Wichtiges ausradiert worden, so dass nur noch die Umrisse dastehen. Wer ist
     dieser Mann, den ich zeit meines Lebens gekannt und doch nicht gekannt habe?
     
    »Aber das ist alles lange vorbei, Nadia. Warum hast du so ein bourgeoises Interesse an allem, was mit individuellen Lebensgeschichten
     zu tun hat?«
    »Weil sie wichtig sind. Sie definieren   … sie zeigen uns   … wir lernen daraus, dass   … ach, ich weiß nicht.«

|196| 17.
Lady Di und der Rolls-Royce
    Valentina und Stanislav haben eine Katze geschenkt bekommen. Und weil sie die Prinzessin von Wales sehr bewundern, nennen
     sie die Katze Lady Di. Sie kommt von einer Nachbarin von Mrs.   Zatshuk und ist eigentlich noch ein Katzenbaby – und nicht annähernd so schön wie ihre Namensgeberin. Sie ist schwarz mit
     weißen Flecken, hat blassrosa umrandete Augen und eine feuchte rosa Schnauze.
    Lady Di (die wie »Lei-Di Dieh« ausgesprochen wird) macht sich sofort daran, sämtliche Möbelstoffe im Haus mit ihren Krallen
     zu bearbeiten. Nach einigen Wochen stellt sich heraus, dass sie keine Katze, sondern ein kleiner Kater ist (meiner Mutter
     wäre so ein Fehler nicht unterlaufen), der überall seine Duftmarken setzt. Zu dem Geruch der allmählich verrottenden Äpfel
     und halb aufgegessenen Fertiggerichte, zum Duft billigen Parfums und den Gerüchen eines ungelüfteten Altmännerzimmers kommt
     jetzt auch noch Katzenpisse. Und nicht nur Pisse. Niemand hat Lady Di beigebracht, sein Geschäft auf einem Katzenklo zu verrichten,
     und niemand macht sich die Mühe, hinter ihm herzuputzen, wenn er sich an nassen Tagen zu fein ist, zu diesem Zweck hinaus
     in den Garten zu gehen.
    Alle, Vater ebenso wie Valentina und Stanislav, lieben Lady Di, der so behände die Vorhänge emporklettern oder |197| einen Meter hoch in die Luft springen kann, wenn man ihm ein Stückchen Papier an einem Faden vor die Nase hält. Nur Vera und
     ich mögen ihn nicht, aber wir wohnen ja auch nicht hier, und deshalb ist es letztlich nicht von Belang, was wir denken.
    Lady Di ist zum Ersatzkind geworden. Vater und Valentina sitzen händchenhaltend nebeneinander und bestaunen seine Klugheit
     und Schönheit. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann er den Lehrsatz des Pythagoras beigebracht bekommt.
     
    »Er will noch nicht einmal an Scheidung denken, Vera. Die beiden sitzen jetzt händchenhaltend da und gurren um diesen fürchterlichen
     Kater herum.«
    »Im Ernst? Das geht wirklich zu weit. Ich habe ja gesagt, wir sollten ihn entmündigen lassen«, sagt meine große Schwester.
    »Genau das findet Valentina auch.«
    »Und damit liegt sie nicht so falsch, auch wenn sie noch so bösartig ist. Im Moment hat sie ihn ja offenbar wieder so weit,
     dass er ihr aus der Hand frisst. Bis sie ihren Pass bekommt. Männer sind wirklich Dummköpfe.«
    »Sag mal, Vera, warum wolltest du eigentlich, dass Mutter sich von ihm scheiden lässt?«
    »Was meinst du?«
    »Er sagt, du hättest Mutter überreden wollen, sich von ihm scheiden zu lassen.«
    »Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Schade, dass ich es nicht geschafft habe.«
    »Ja, aber was du geschafft hast, ist, dass er das Wort Scheidung nicht mehr hören kann.«
    »Ich sehe schon, ich muss selbst hinfahren und mit ihm reden.«
     
    |198| Aber bald darauf geschieht etwas, was Vater doch noch veranlassen könnte, seine Meinung zu ändern. Frühmorgens ruft er mich
     an und erzählt wirres Zeug über einen großen Roller. Weil ich auf dem Sprung bin und zur Arbeit muss, bitte ich ihn, mich
     später noch einmal anzurufen.
    Da schließlich bringt er heraus: »Der Roller steht im Vorgarten, auf dem Rasen.«
    »Was meinst du denn, Papa? Welcher Roller?«
    »Der Roller eben. Der Rolls-Royce!«
    Valentina hat den Gipfel ihrer Träume vom Leben im Westen erreicht – sie ist Eigentümerin eines Rolls-Royce. Eine Vier-Liter-Limousine,
     die ihr ein Eric Pike für den Spottpreis von fünfhundert Pfund (die Vater bezahlt hat) verkauft hat. Jetzt hat sie einen Lada
     in der Garage, einen Rover auf der Straße und einen Rolls-Royce im Vorgarten stehen. Keiner der

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