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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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ihr zusammen von hier weggefahren sind. Mit ihren gesamten Habseligkeiten.«
    »Das war nur, um ihr einen Gefallen zu tun. Sie wohnt aber nicht hier.«
    »Wohin haben Sie sie denn gebracht?«
    Keine Antwort.
    »Vielleicht können Sie mir ja wenigstens sagen, wie ich sie erreichen kann. Sie hat nämlich ein paar Dinge vergessen, die
     sie, glaube ich, ganz gern wiederhaben möchte. Und außerdem kommt auch immer noch Post für sie hier an.«
    Nach kurzem Schweigen sagte er endlich: »Ich werde ihr ausrichten, dass sie sich mit Ihnen in Verbindung setzen soll.«
    Einige Tage später erhielt Vater ein Schreiben von Valentinas Anwalt, in dem es hieß, Valentinas Post sei an sein Büro weiterzuleiten
     und jegliche Kontaktaufnahme zu ihr habe ausschließlich über seine Person zu geschehen.
     
    Ich konnte die Trostlosigkeit, der Vater sich ausgesetzt fühlen musste, sehr gut nachvollziehen, weil es mir seltsamerweise
     ähnlich erging. Valentina war zu einer so bedeutsamen Figur in meinem Leben geworden, dass ihr Verschwinden eine gähnende
     Leere hinterließ. Und viele offene Fragen, die wie aufgeschreckte Vögel in meinem Kopf herumkreisten. Wohin war sie verschwunden?
     Wo arbeitete |247| sie? Was hatte sie nun vor? Wer waren ihre Freunde? Mit welchem Mann – oder mit welchen Männern – ging sie ins Bett? Tanzte
     sie auf verschiedenen Hochzeiten zur selben Zeit oder gab es jemand Bestimmten – einen netten englischen Einfaltspinsel, der
     sie aufregend und exotisch fand, aber zu schüchtern war, um zudringlich zu werden? Und Stanislav – wo deponierte er jetzt
     seine Pornohefte?
    Diese und ähnliche Fragen beschäftigten mich. Und ich stellte mir alle möglichen Szenen vor: Valentina und Stanislav verwahrlost
     in einem dürftig möblierten Zimmer – oder mit all ihren in Müllsäcke gestopften Habseligkeiten im von Fliegen und Mücken bevölkerten
     Dachzimmerchen einer billigen Pension – oder vielleicht auch höchst stilvoll in einem von einem Liebhaber finanzierten Liebesnest,
     wo in den Töpfen und Pfannen, die ehemals meiner Mutter gehört hatten, in der Küche auf dem Herd Kochbeutel- und Fertiggerichte
     vor sich hin blubberten und die ganze Küche eindampften und der kleine Fotokopierer während des Essens neben ihren Tellern
     auf dem Tisch stand. Und was machten sie nach dem Essen? Gingen sie aus? Mit wem? Und falls sie zu Hause blieben: wer war
     es, der dann um Mitternacht an die Tür klopfte?
     
    Wieder und wieder fahre ich durchs Dorf und am Haus der Zatshuks vorbei, um nachzusehen, ob das Schrottauto vielleicht davor
     parkt. Tut es nicht. Ich frage die Nachbarn, ob sie Valentina oder Stanislav gesehen haben. Haben sie nicht. Auch der Mann
     von der Post und die Frau vom Laden an der Ecke haben sie nicht gesehen. Und der Milchmann ist ihnen auf seinen Runden auch
     nicht begegnet.
    Ich bin richtiggehend besessen von der Idee, Valentina finden zu müssen. Jedes Mal, wenn ich durchs Dorf oder durch Peterborough
     fahre, kommt es mir vor, als sähe ich das Schrottauto irgendwo um eine Ecke verschwinden. Ich |248| vollführe Vollbremsungen oder wilde Kehren und handele mir Hupkonzerte von anderen Autofahrern ein. Dabei sage ich mir, dass
     ich unbedingt wissen muss, was Valentina nun vorhat – ob sie gegen die Scheidung angehen will, wie viel Geld sie verlangt,
     oder ob sie vielleicht doch vorher abgeschoben wird. Und ich rede mir ein, dass ich es herausfinden muss wegen des Rolls-Royce
     und wegen der Post, die immer noch für sie ins Haus flattert, auch wenn es in der Hauptsache Werbung ist für irgendwelche
     Millionen-Gewinnspiele oder dubiose Schönheitskuren. Tatsächlich aber hat mich brennende Neugier gepackt. Ich möchte wissen,
     wie sie lebt. Ich möchte wissen, wer sie ist. Ich möchte es einfach wissen.
     
    Getrieben von meiner Neugier mache ich mich eines Samstagnachmittags zu Eric Pike auf. Die Adresse habe ich im Telefonbuch
     und im Stadtplan herausgesucht. Pikes Haus ist ein modernes einstöckiges Gebäude in pseudo-georgianischer Bauweise. Es steht
     in einem leicht abschüssigen Garten in einer Sackgasse mit lauter ähnlichen Häusern, die alle weiße Säulen an der Eingangstür
     haben, Löwenköpfe auf den Gartentorpfosten, Bleiglasfenster, eine viktorianische Laterne in der Einfahrt, jede Menge Hängekörbe
     voller mauvefarbener Petunien und einen Teich mit Springbrunnen und Zierfischen.
    In der Einfahrt stehen zwei Autos. Der große blaue Volvo-Kombi und ein kleiner

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