Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
weißer Alfa Romeo. Von Valentinas Rover keine
Spur. Ich stelle meinen Wagen ein wenig von der Einfahrt entfernt ab, drehe das Radio an und warte.
Nichts passiert, eine Stunde lang, eineinhalb Stunden lang. Dann tritt eine Frau aus dem Haus. Eine attraktive Mittvierzigerin,
geschminkt, auf hohen Absätzen und, wie mir auffällt, mit einem Kettchen unter der Strumpfhose am |249| Fußgelenk. Sie kommt zu mir herüber und bedeutet mir, das Fenster herunterzukurbeln.
»Sind Sie Privatdetektivin?«
»Oh, nein … ich … nein …« Ich stottere. In plötzlicher Ermangelung jeglicher Fantasie fällt mir nichts anderes ein, als zu sagen: »Ich warte hier
nur auf eine Freundin.«
»Weil falls ja, können Sie sich verpissen. Ich habe ihn seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Es ist aus und vorbei.« Sie dreht
sich um und stakst zum Haus zurück. Bei jedem Schritt versinken ihre Absätze knirschend im Kies.
Gleich darauf erscheint ein Mann in der Tür, der in meine Richtung starrt. Er ist groß und untersetzt und hat einen mächtigen
schwarzen Schnauzbart. Als er sich in Bewegung setzt und die Einfahrt herunter auf mich zukommt, lasse ich schnell den Motor
an und fahre davon.
Auf dem Rückweg fällt mir noch etwas anderes ein. Ich mache einen Umweg über die Hall Street zum Haus von Bob Turner, wo wir
damals den dicken braunen Umschlag abgeben wollten. Doch das Haus hat ein »Zu verkaufen«-Schild an der Gartentür und steht
eindeutig leer. Ich luge durch ein Fenster. Die Stores sind nicht abgenommen, aber drinnen stehen keine Möbel mehr. Eine Nachbarin,
die mich beobachtet hat, streckt einen Kopf voller Lockenwickler zur Tür heraus.
»Sie sind fort.«
»Stanislav und Valentina?«
»Ach, die sind schon lange nicht mehr da. Ich meine die Linakers. Letzte Woche sind sie fort. Nach Australien. Die Glücklichen.«
»Kannten Sie Valentina und Stanislav?«
»Nicht gut. Das war immer ein Lärm, wenn er mit ihr mitten in der Nacht durchs Haus getobt ist. Keine Ahnung, was der Junge
davon hielt.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo sie sich jetzt aufhält?«
|250| »Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass sie einen alten Perversen geheiratet hat.«
»Einen Perversen? Sind Sie sicher?«
»Na ja, einen dreckigen alten Mann. Hat Mr. Turner jedenfalls immer gesagt: Valentinas dreckiger Alter. Scheint aber eine Menge Geld gehabt zu haben.«
Ihre wässrigen blauen Augen unter den Lockenwicklern blinzeln und starren mich an. Ich starre zurück.
»Das haben sie erzählt? Das war mein Vater, den sie geheiratet hat.«
Die Augen blinzeln heftiger. Dann senkt sie den Blick. »Haben Sie es schon im Ukrainischen Club versucht? Da geht sie ab und
zu hin.«
»Gute Idee. Danke.«
Die ältere Dame an der Rezeption im Ukrainischen Club ist eine Freundin meiner Mutter, Maria, die ich zum letzten Mal bei
der Beerdigung getroffen habe. Wir umarmen uns zur Begrüßung. Sie sagt, sie habe Valentina schon seit Wochen nicht mehr gesehen,
und will wissen, warum ich sie suche und warum sie nicht bei Vater ist.
»Angemalte Puppe. Ich mochte sie nie«, sagt sie auf Ukrainisch.
»Ich auch nicht. Aber ich dachte, sie würde sich um Vater kümmern.«
»Haha! Die kümmert sich doch höchstens um sein Geld. Deine arme Mutter, die jeden Penny zur Seite gelegt hat … Und dann ging alles für Schminke und durchsichtige Fähnchen drauf.«
»Und Autos. Sie hat drei Autos, weißt du.«
»Drei Autos? Was soll das denn? Wenn man Füße hat, die einen durch die Welt tragen! Obwohl … sie kommt ja wohl nicht weit auf diesen Pfennigabsätzen, auf denen sie immer herumläuft …«
|251| »Aber jetzt ist sie verschwunden und wir haben keine Ahnung, wo wir sie finden können.«
Maria nähert ihre Lippen meinem Ohr und dämpft ihre Stimme zu einem Flüstern: »Hast du schon mal im Hotel Imperial nachgefragt?«
Das Hotel Imperial ist kein richtiges Hotel, es ist ein Pub. Und wirklich imperial ist es auch nicht, auch wenn die braunen
Dralonpolster und die Mahagonitäfelung an den Wänden diesen Eindruck gern erwecken möchten. Ich fühle mich immer noch nicht
richtig wohl, wenn ich allein in eine Kneipe gehe, aber trotzdem hole ich mir am Tresen ein Shandy und verziehe mich damit
in eine Ecke, von wo aus ich den ganzen Raum überblicken kann. Die meisten Gäste sind junge Leute, die ziemlich viel Lärm
machen. Die Männer trinken Lagerbier aus Flaschen, die Frauen Cocktails oder Weißwein,
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