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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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später tauchten zum Erntedankfest am Altar immer wieder Makrelendosen auf.
    Im Schuppen fand ich in einem Karton mehrere Packungen Kekse. Alle waren offen, überall lagen Krümel und kleine Fetzchen des
     Einwickelpapiers. In einer anderen Ecke entdeckte ich vier Packungen mit schimmeligen Weißbrotscheiben. Auch diese Packungen
     waren alle aufgerissen, ihr Inhalt überall verstreut. Ich fragte mich noch, warum und zu welchem Zweck jemand so etwas macht,
     als ich etwas Großes, Braunes in eine Ecke huschen sah. Oh mein Gott! Den Kammerjäger, schnell!
    Im Wohnzimmer, in der Küche und in der Speisekammer fanden sich Fressnäpfe mit Milch und Futter für Lady Di, die nicht nach
     seinem Geschmack gewesen waren und nun in der Augusthitze vor sich hin moderten. Ein Napf war mit braunen pilzartigen Gewächsen
     überzogen, in einem anderen wimmelten weiße Maden. Die Milch hatte sich in grünlichen Käseschleim verwandelt. Ich ließ alles
     in Bleichmittel und Scheuersalz einweichen.
    Normalerweise gehöre ich nicht zu den Frauen, für die Putzen therapeutische Wirkung hat, aber dies hier fühlte sich wie eine
     Art symbolischer Reinigung an, wie die endgültige Vertreibung eines fremden Eindringlings, der versucht hatte, unsere Familie
     zu kolonialisieren. Ein gutes Gefühl.
     
    Vera gegenüber will ich nicht erwähnen, dass Vater von einer Versöhnung mit Valentina gesprochen hat, denn ich weiß, es gibt
     nichts, was ihn so sicher in ihre Arme zurücktreiben würde wie eine Konfrontation mit meiner großen Schwester. Aber irgendwann
     entschlüpft es mir trotzdem.
    »Dieser Idiot!« Ich höre sie ein- und ausatmen, während |242| sie nach Worten sucht. »Ihr Sozialarbeiter seid natürlich bestens vertraut mit diesem Syndrom von misshandelten Frauen, die
     sich an ihre Peiniger klammern.«
    »Vera, ich bin keine Sozialarbeiterin.«
    »Nein, natürlich, du bist ja Soziologin. Aber wenn du Sozialarbeiterin wärst, würdest du es so sehen.«
    »Kann sein.«
    »Siehst du, und deshalb finde ich es so wichtig, dass er in Sicherheit gebracht wird. Zu seinem eigenen Besten. Sonst fällt
     er der nächsten skrupellosen Person, die ihm über den Weg läuft, zum Opfer. Wolltest du dich nicht nach Einrichtungen für
     betreutes Wohnen erkundigen, Nadia? Ich finde, es ist wirklich an der Zeit, dass du anfängst, Verantwortung zu übernehmen,
     wie ich es für Mutter ja auch getan habe.«
    Doch Vater ist fest entschlossen, seine neu gewonnene Freiheit voll auszukosten. Als ich die Möglichkeit von betreutem Wohnen
     zur Sprache bringe, sagt er nur, er wolle bleiben, wo er ist. Er sei viel zu beschäftigt, um an einen Umzug denken zu können.
     Er wolle jetzt das Haus in Ordnung bringen und dann vielleicht sogar Valentinas altes Zimmer im oberen Stockwerk an eine passende
     Dame mittleren Alters vermieten. Und außerdem müsse er ja noch sein Buch schreiben.
    »Habe ich dir die Geschichte von dem Halbketten-Traktor eigentlich zu Ende erzählt?«
    Er greift nach seinem linierten A 4-Block , der jetzt schon fast ganz mit seinem Meisterwerk vollgeschrieben ist, und beginnt vorzulesen:
     
    Der Halbkettenantrieb-Traktor wurde von einem französischen Ingenieur namens Adolphe Kégresse erfunden, der die technische
     Oberaufsicht über den Wagenpark des russischen Zaren gehabt hatte, jedoch nach der Revolution von 1917 wieder nach Frankreich
     zurückgekehrt war, wo
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er seine Entwürfe weiter perfektionierte. Sein Traktor basiert auf einem einfachen Prinzip: vorne normal bereifte Zwillingsräder
     und hinten ein Kettenfahrgestell. Diese Fahrzeuge waren als Traktoren, Kavallerie- und Panzerfahrzeuge insbesondere in Polen
     bei der Armee beliebt, weil sie sich für die dortigen schlechten Straßenverhältnisse gut eigneten. Historische Bedeutung erlangte
     das zwischen Adolphe Kégresse und André Citroën geschlossene Bündnis, denn es ebnete den Weg zur Entwicklung von Geländefahrzeugen.
     Zu ihrer Zeit versprachen diese eine Revolution der Landwirtschaft wie auch des Schwertransportwesens, doch leider wurde aus
     dieser Revolution ein Fluch unserer modernen Zeit.
     
    Nach meiner großen Säuberungsaktion waren nur noch zwei Dinge übrig geblieben, die Vater an Valentina erinnern konnten, aber
     beide ließen sich nur schwer entfernen: zum einen Lady Di samt Freundin und deren vier kleinen Kätzchen, und zum anderen der
     Roller auf der Wiese.
    Wir waren uns einig, dass Lady Di und seine Familie dableiben sollten, weil Vater

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