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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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kurbelt Valentina
     das Fenster herunter, streckt den Kopf heraus und ruft: »Du denkst du sehr clever, Mr.   Ingenieur, aber du warten. Du wissen, dass immer ich kriege, was ich will.«
    Sie spuckt aus. »Th-pfhh!« Da der Wagen bereits anfährt, landet die Spucke als dicker weißer Schleimfleck auf der Wagentür,
     wo sie einen Augenblick lang hängen bleibt, bevor sie abwärts rutscht. Dann sind sie verschwunden.
    »Geht’s dir gut, Papa? Ist alles in Ordnung?« Ich umarme ihn. Seine Schultern unter der Strickjacke fühlen sich knochig an.
    »Ja, ja, alles in Ordnung. Alles bestens. Hat gut geklappt. Vielleicht rufe ich Valentina eines Tages an und versöhne mich
     mit ihr.«
    |239| Da ist ein Ton in seiner Stimme, der mir neu ist. Ein Ton, der mir verrät, wie einsam er sich fühlt.
     
    Ich rufe Vera an. Wir müssen überlegen, wie Vater jetzt, da er ganz allein auf sich gestellt ist, unterstützt werden kann.
     Meine große Schwester meint, wir sollen ihn von einem Arzt entmündigen und in ein Heim einweisen lassen. »Wir müssen der Wahrheit
     ins Gesicht sehen, Nadia, so unangenehm sie auch ist. Unser Vater ist verrückt. Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis er sich
     in die nächste Irrsinnsgeschichte verrennt. Es ist doch besser, wir bringen ihn irgendwo hin, wo er nichts mehr anstellen
     kann.«
    »Ich glaube nicht, dass er verrückt ist, Vera. Er ist nur exzentrisch. Viel zu exzentrisch, um in einem Heim zu leben.« Irgendwie
     kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass unser Vater mit seinen Äpfeln und seinen Traktor-Erzählungen und seinen seltsamen
     Angewohnheiten sich in die Alltagsroutine eines Altenheims einfügen könnte. Ich sage, dass meiner Meinung nach betreutes Wohnen
     für ihn passender wäre, weil es ihm mehr Selbständigkeit ließe. Vera stimmt zu und betont, dass wir das längst hätten arrangieren
     müssen. Offensichtlich denkt sie, jetzt einen Punktsieg errungen zu haben, und ich lasse sie in dem Glauben.
     
    Nach Valentinas und Stanislavs Auszug machte ich mich daran, ihre Zimmer aufzuräumen. Ich brauchte vierzehn große schwarze
     Plastikmüllsäcke, um einzusammeln, was noch herumlag. Watte, Kartons, Einwickelpapier, Kosmetiktöpfchen und -fläschchen, zerrissene
     Strumpfhosen, Zeitungen und Zeitschriften, Kataloge, Werbebriefe, abgelegte Kleidung und Schuhe – alles wanderte in den Müll.
     Ebenso das angebissene Schinkensandwich, Apfelreste sowie eine verschimmelte Schweinefleischpastete, die ich an derselben
     Stelle unter dem Bett fand, wo einst das benutzte |240| Kondom gelegen hatte. Auch unter dem Bett in Stanislavs Zimmer wartete eine kleine Überraschung auf mich – eine Plastiktüte
     voller Pornohefte. Ts, ts.
    Als Nächstes nahm ich mir das Badezimmer vor. Um die Haarklumpen aus dem verstopften Abfluss der Badewanne entfernen zu können,
     musste ich eine Drahtspirale zu Hilfe nehmen. Unglaublich, wie viel Schmutz und Unordnung eine einzelne Person zustande bringen
     konnte! Während ich vor mich hin putzte und schrubbte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Valentina hatte offensichtlich
     zeit ihres Lebens – oder zumindest den größten Teil ihres Lebens – jemanden gehabt, der hinter ihr herräumte.
    Dann kamen Küche und Speisekammer an die Reihe. Die Fettspritzer auf dem Herd und rundherum an den Wänden ließen sich nur
     mit einem Messer abkratzen. Ich warf Essensreste fort und säuberte Fußboden, Regale und Arbeitsflächen von klebriger Schmiere.
     Überall standen geöffnete und angebrochene Dosen und Flaschen, Gläser und Packungen mit längst ungenießbarem Inhalt herum.
     In der Speisekammer war ein Glas mit Marmelade offen stehen geblieben, gesprungen, ausgelaufen, steinhart eingetrocknet und
     so fest auf dem Regalbrett festgeklebt, dass es mir in den Händen zerbrach, als ich versuchte, es abzulösen. Die Scherben
     fielen auf den Boden zu alten Zeitungen, leeren Kochbeuteln und Fertiggerichte-Packungen, verschüttetem Zucker, Nudeln, Kekskrümeln
     und getrockneten Erbsen.
    Unter der Spüle stieß ich auf einen Vorrat an Fischdosen. Makrelen, sechsundvierzig an der Zahl. »Was soll das denn?«, fragte
     ich.
    Vater zuckte die Achseln. »Zwei für den Preis von einer. Sie liebt so was.«
    Was macht man mit sechsundvierzig Dosen Makrelen? Sie wegzuwerfen brachte ich nicht übers Herz. Was hätte |241| Mutter getan? Ich verteilte sie im Dorf an alle Leute, die ich kannte, und den Rest brachte ich zum Pfarrer für die Armen.
     Noch Jahre

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