Kurzschluss
Verwandte?«
Der Hausherr – ein Endfünfziger, der so korrekt aussah, dass er Häberles Einschätzung zufolge zur Kategorie Sesselfurzer zählte, also irgendwelchen Verwaltungs- oder Buchhaltungskram erledigte, brauchte nicht lange nachzudenken. »Sie kriegt selten Besuch. Ob das Freunde oder Bekannte sind, kann ich Ihnen nicht sagen. Sie ist eine unauffällige Mieterin.«
Häberle nahm es zur Kenntnis. Eine ideale Mieterin also für einen schwäbischen Hausbesitzer: Ruhig, zurückhaltend, unauffällig.
»Wo kam sie denn her?«, fragte Häberle weiter. Seine Kollegen hatten sich inzwischen in der Wohnung über das Chaos hergemacht.
»Irgendwo aus dem Norden. Fragen Sie mich aber nicht, woher. Ich müsste nachsehen, ich hab das aufgeschrieben, als wir den Mietvertrag gemacht haben.«
»Und was hat die junge Dame ausgerechnet hierher verschlagen?«
»Damals muss es wohl die große Liebe gewesen sein.«
Häberle nickte und wechselte das Thema. »Welches Auto fährt Frau Rothfuß?«
Der Angesprochene runzelte die hohe Stirn. »So ein Cabrio, ein gelbes, von Volkswagen – mit so einem komischen Namen. Der fällt mir nicht ein.«
Häberle konnte sich zwar vorstellen, welcher Typ gemeint war, aber auch ihm wollte dessen Bezeichnung nicht einfallen. Er sah über Sträucher und Stauden zur Straße hinauf, ohne ein solches Fahrzeug ausfindig zu machen. »Wo parkt sie denn normalerweise?«
»Hier vor dem Haus«, deutete der Mann nach oben zur Vorderseite des Hauses.
»Das heißt, wenn ihr Auto nicht hier steht, ist sie auch nicht daheim.«
»Davon kann man ausgehen.«
»War sie denn heut Vormittag, als Sie und Ihre Frau zur Arbeit gingen, da?«
Der Mann zuckte mit den breiten Schultern. »Also, ich meine nein. Aber sie hat sehr oft zu unterschiedlichen Zeiten das Haus verlassen. Sie hat ihren eigenen Eingang hier hinten. Wir kriegen das nicht mit – und wir beobachten auch nicht, wann ihr Auto dasteht und wann sie wegfährt.«
»War sie gestern Abend hier?«
Wieder zuckte er mit den Schultern. »Wir sind erst kurz nach eins heute Morgen heimgekommen. Wir waren zu einer Geburtstagsfeier eingeladen.«
»Waren Sie denn zwischen Arbeitsschluss – ich nehme an, Ihre Frau ist berufstätig – und Ihrer Fahrt zu dieser Geburtstagsfeier noch zu Hause?«
»Nein, wir sind gleich nach der Arbeit losgefahren. Die Feier war in der Nähe von Reutlingen. Da fährt man ja ein Stück.«
»Wissen Sie, ob Frau Rothfuß ein Handy besitzt?«
»Ich denke schon, aber ich habe die Nummer nicht.«
»Okay, danke«, sagte Häberle. Er tippte in sein Mobiltelefon, das er noch immer in der Hand hielt, die Kurzwahl für die Sonderkommission ein, erklärte, was geschehen war und bat um Unterstützung für die Spurensicherung. Dann schlug er vor, eine Fahndung nach Silke Rothfuß einzuleiten. Vielleicht war ja irgendwo ein Foto von ihr aufzutreiben.
Er hatte gerade das Gespräch beendet, als einer der Spurensicherer über den gekiesten Weg auf ihn zukam und ein Buch schwenkte. »Schau mal, August, was wir bei den Büchern auf der Couch gefunden haben.«
Häberle wandte sich ihm zu, was auch die Neugier des Hausbesitzers erregte. Der Chefermittler erkannte sofort, weshalb seinem Kollegen die Entdeckung so wichtig erschien. Auf dem Cover war ein Nagetier abgebildet. Das Buch trug den Titel ›Die Invasion der Biber‹.
34
Wolfgang Taler hatte sich von Bodling die Erlaubnis eingeholt, ein paar offene Worte mit dem Kommissar zu reden, wie er sich ausdrückte. Häberle hatte nach seiner Rückkehr aus Kuchen mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt telefoniert und ihn über die neueste Entwicklung informiert. Außerdem galt es, die Frage zu klären, ob Silke Rothfuß offiziell zur Fahndung ausgeschrieben werden sollte – schließlich war sie eine erwachsene Frau und konnte ihren Aufenthaltsort frei wählen. Andererseits lag der Verdacht nahe, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Der Leiter der Ulmer Staatsanwalt entschied sich für eine Fahndung, legte aber Wert darauf, dass der Hinweis erfolgen müsse, sie werde dringend als wichtige Zeugin gesucht.
Häberle bedankte sich für die schnelle Erledigung und beendete das Gespräch. Im Büro nebenan wartete Taler, der einen hellen Anzug trug und sich als frei schaffender Energieberater vorstellte. In dieser Eigenschaft mache er sich gelegentlich auch fürs Albwerk nützlich und stehe dem Herrn Bodling in komplexen Angelegenheiten zur Seite.
Häberle musterte seinen
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