Kurzschluss
außer Atem. Er nannte seinen Namen und erklärte mühsam, dass vermutlich im Weiherwiesensee am Stadtrand von Geislingen jemand ertrunken sei. Wo genau, das stelle er gerade erst fest, doch halte er es für angebracht, schon mal einen Notruf abzusetzen. Kaum hatte er dies gesagt, deutete der Mann vor ihm nach rechts in einen Trampelpfad, der zum sumpfigen Ufer führte.
»Ich glaub, ich weiß, wo es ist«, beeilte sich Braun, das Gespräch fortzusetzen, während er dem anderen folgte. »Zwischen der Forellenzuchtanlage und der Aussichtsplattform – dem Uferweg nach.« Er atmete schwer. »Aber beachten Sie, dass der Forstweg ganz vorn mit einer Schranke gesperrt ist.« Braun war in den schmalen, stark verwachsenen Trampelpfad eingebogen und musste sich Zweige vom Gesicht fernhalten. »Bleiben Sie kurz dran«, bat er seinen Gesprächspartner in der Einsatzzentrale.
Dem diensthabenden Polizeibeamten war die beschriebene Örtlichkeit ein Begriff. Für Schranken im Gelände gab es in jedem Einsatzfahrzeug entsprechende Schlüssel. Braun hielt mit der einen Hand das Handy ans Ohr und drückte mit der anderen die Äste beiseite. Er sprang über feucht-weiches Erdreich, erreichte frische Stauden und schließlich den Schilfgürtel. Dort war der Mann vor ihm wild gestikulierend stehen geblieben. Wo der Untergrund immer nasser und instabiler wurde und sich mit dem bewachsenen Uferstreifen im Wasser verlor, schien jene Stelle zu sein, an der sich etwas Schreckliches zugetragen haben musste. Braun presste sein Handy noch fester ans Ohr, um dem Diensthabenden in der Notruf-Leitzentrale informieren zu können. Noch zwei, drei Meter und er hatte den Fremden erreicht.
Der deutete, schwer atmend, ins Schilf: »Hier, schauen Sie.«
Braun brauchte ein paar Sekunden, bis er zwischen dem dichten Bewuchs erkennen konnte, was gemeint war. Zuerst sah er ein Kleidungsstück, das im Wasser zu schwimmen schien, als habe es jemand achtlos weggeworfen. Es war das Rückenteil einer Jacke, das wie aufgeblasen zwischen dem Schilf aufragte.
»Sehen Sie doch«, gab sich der andere ungeduldig und gestikulierte heftig.
Braun schluckte. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass es nicht nur ein schwimmendes Kleidungsstück war, das er sah. Langsam formte sich ein Bild, das keinen Zweifel aufkommen ließ: In der Jacke steckte ein lebloser Körper. Kopf und Beine waren unter der Wasseroberfläche verschwunden, sodass nur der Rücken und das Gesäß sichtbar waren.
Herbert Braun war für den Bruchteil einer Sekunde wie gelähmt. Erst die Stimme im Handy, die laut nachfragte, was denn geschehen sei, holte ihn in die Realität zurück. »Ich glaube …«, er suchte nach einer passenden Formulierung, »… ich glaube, hier ist jemand ertrunken.« Noch einmal versuchte er die Position zu schildern, doch mehr als ein unklares Gestammel, mit dem kaum etwas anzufangen war, wurde es nicht.
Glücklicherweise hatte sich der Angerufene bereits bei Brauns erster Beschreibung die Zufahrtsmöglichkeiten notiert und die Einsatzkräfte losgeschickt. »Schon alles unterwegs«, gab er zurück. Eine Antwort bekam er nicht mehr.
9
»Meine Herren, ich hoffe, Sie hatten ein gutes Wochenende«, begann Rupert Bodling das montägliche Gespräch und fuhr sich mit dem Zeigefinger nachdenklich über den Oberlippenbart. »Das Wetter war ja nicht gerade berauschend.«
Es hatte sich in den vergangenen Jahren so eingebürgert, dass jede Woche mit einer kleinen Konferenz begonnen und wieder abgeschlossen wurde. Freitagnachmittags war ein Rückblick vorgesehen, das montägliche Gespräch galt den Aufgaben, die unmittelbar bevorstanden. Bodling griff tagesaktuelle politische Themen auf und erwähnte das Geplänkel, das im Vorfeld der im Herbst anstehenden Bundestagswahl zunehmend das Geschehen in Berlin beherrschte. »Wenn man die Nachrichten so verfolgt«, dozierte er und rührte in seiner Kaffeetasse, »dann könnte man über weite Strecken den Eindruck gewinnen, als glaubten die Herrschaften in Berlin, Deutschland allein sei der Nabel der Welt. Dabei sind wir doch nur ein Handtuch auf dem Globus.«
Seine Zuhörer waren dieselben wie am Freitagnachmittag. Feucht nickte zurückhaltend, Schweizer ließ keine Reaktion erkennen.
»Wir dürfen uns nichts vormachen«, erklärte Bodling. »Für uns bedeutet die momentane Situation, dass wir weiterhin äußerst wachsam sein müssen.«
Feucht, sein kaufmännischer Leiter, nickte angespannt und knüpfte an diese Bemerkung an:
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