Kurzschluss
sagt.«
Linkohr nickte und wurde hellhörig. »In Norwegen?«
»In Norwegen, ja.«
40
Doris hatte darauf bestanden, den Geirangerfjord aufzusuchen, entlang dessen steiler Felswände die größten Kreuzfahrtschiffe weit ins Landesinnere hineinfahren konnten. Doch der hervorragende Ruf, den dieser Landstrich als Unesco-Weltkulturerbe genoss, stand in keinem Verhältnis zu der wenig gelungenen Gestaltung des Ortes. Das Hotel am Hafen, im Stil des Betonwahns der 60er-Jahre errichtet, verbreitete den herben Charme eines tristen Bürogebäudes. Und an den Anlegestellen, die wohl nur für Fähren und kleinere Schiffe gedacht waren, reihten sich Souvenirläden aneinander, in denen die norwegische Sagengestalt, der Troll, in all ihren knitzen, schelmischen oder potthässlichen Varianten zu haben war. Georg Sander hätte sogar 50 Euro investiert, um solch einen finster dreinblickenden Wicht mit nach Hause zu nehmen, doch Doris wehrte ab. Jeder Besucher würde künftig fragen: Was ist denn das?
Als sie heute früh bei eisigem Sturm und peitschendem Regen eine eineinhalbstündige Schiffsfahrt durch den engen Fjord unternommen hatten, waren gerade die Passagiere eines spanischen Kreuzfahrtschiffes ›ausgebootet‹ worden. Offenbar war das Hafenbecken für solch große Luxusdampfer nicht tief genug, sodass sie 100 Meter davon entfernt vor Anker gehen mussten. Jetzt, als Sander das Wohnmobil zur Weiterfahrt bereitmachte, war sogar noch ein zweites Schiff angekommen. Wie Fremdkörper lagen die beiden schwimmenden Hotels in dem Fjord, der bei dieser trüben Wetterlage irgendwie bedrohlich, aber dennoch imposant wirkte.
Sander steckte die Mini-Videokassette wieder unter den Bettrost, rollte das Stromkabel auf, mit dem das Wohnmobil auf Campingplätzen an die externe Versorgung angeschlossen wurde, und genoss es noch einmal, direkt am Ende dieses Fjords zu stehen.
Sein Blick streifte das Wasch- und Toilettengebäude, von dem ein Teil des Platzes durch einen einmündenden Fluss getrennt war. Der Mann, der dort gerade in Bermudashorts und einer bunten Tragetasche in der Männertoilette verschwand, kam ihm irgendwie bekannt vor. Sander verstaute das Anschlusskabel in einem Außenfach und ließ sich nichts anmerken. Falls ihn Doris durch die zugezogenen Vorhänge des Wohnmobils beobachtete, bemühte er sich, unbekümmert zu wirken. Sie durfte unter keinen Umständen beunruhigt werden. In diesem Moment meldete sein Handy, das er in der Brusttaste des Hemdes stecken hatte, eine eingehende SMS. Sander trat geschickt hinter das Wohnmobil, um von Doris nicht gesehen zu werden. Er zog das Gerät heraus und las: ›Hallo, Nordlandfahrer. Hier tobt das Verbrechen. Brandanschläge auf Umspannwerk Eybacher Tal und auf Bodling vom Albwerk. Er hat es überlebt. Und ausgerechnet jetzt treibst du dich in Norwegen rum.‹ Es war eine Nachricht von Michael Rahn.
Sander stand wie erstarrt hinter dem Wohnmobil. Seine Knie wurden weich. Er löschte die Nachricht und dachte intensiv an Häberle.
41
Der Chefermittler hatte die rund 550 Kilometer lange Fahrt nach Magdeburg trotz der vorausgegangenen arbeitsreichen Tage als wohltuend empfunden. Er war kein Raser, obwohl der Audi dazu hätte verleiten können. Doch wenn August Häberle allein unterwegs war, dann hielt er sich ziemlich genau an die Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometer beachtete streng alle anderen Limits, und ließ im Geiste die Ereignisse der Woche an sich vorüberziehen. Nur der Verkehrswarnfunk, der die Lautstärke des dezent spielenden Radios verstärkte, konnte ihn aus seinen Überlegungen reißen. Zweimal hatte Linkohr angerufen, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Häberle schätzte es besonders, stets über die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse informiert zu werden. Manches davon konnte ihm bei seinen Ermittlungsfahrten äußerst hilfsreich sein.
Das private, mobile Navigationsgerät führte ihn problemlos zu dem Glaspalast von Estromag. Fast minutengenau, wie er zufrieden feststellte. Eigentlich war er sogar eine halbe Stunde zu früh gewesen, weshalb er auf einem Parkplatz pausiert hatte und die Gelegenheit wahrnahm, die belegten Brote zu essen, die ihm seine Frau Susanne mit auf den Weg gegeben hatte – wohl wissend, dass ihr August die Ausgaben für einen Rasthausbesuch scheuen würde.
Den telefonisch erhaltenen Beschreibungen und den Anweisungen seines Navigationsgeräts folgend, gelangte er in eine helle Tiefgarage, von der ihn ein sanft hochschwebender
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