Kurzschluss
in der Provinz«, seufzte Schmittke. Es war ironisch gemeint und klang alles andere als begeistert. Er griff zum Telefonhörer, um pflichtgemäß die Direktionsleitung in Göppingen anzurufen. In diesen Tagen war es allerdings nicht einfach, dort einen Verantwortlichen zu erreichen. Denn Kripo-Chefin Manuela Maller hatte unerwartet schnell wieder das Weite gesucht und der designierte Nachfolger Thomas Kurz sollte erst im Laufe der Woche in sein Amt eingeführt werden. Immerhin war es den Verantwortlichen in Stuttgart gelungen, die ebenfalls frei gewordene Stelle des Direktionsleiters wieder zu besetzen, nachdem dieser altershalber hatte ausscheiden müssen.
Während Schmittke am Telefon darauf wartete, den neuen Direktionsleiter Hans Baldachin an die Strippe zu bekommen, befassten sich seine beiden Kollegen mit Gedankenspielen zur Identität des Toten. Vermutlich habe der Mann nicht in der näheren Umgebung gewohnt, meinte der etwas korpulentere Beamte, der für seine pragmatische Art bekannt war. »Sonst hätte den längst jemand bei uns als vermisst gemeldet«, stellte er fest.
»Oder aber er lebte allein«, konstatierte sein jüngerer, drahtiger Kollege, der mit einem Zeigefinger über den Oberlippenbart strich. »Das soll heutzutage ja vorkommen«, fügte er mit einem Anflug von Sentimentalität hinzu.
»Mensch, Mike, fang nicht schon wieder damit an. Wie alt bist du? 28 oder was – mein Gott, da werden sich doch noch ein paar scharfe Weiber finden.«
Mike Linkohr war längst dafür bekannt, bei der Suche nach der Traumfrau immer wieder aufs Neue auf die Nase zu fallen. Erst vor Kurzem hatte seine Seele offenbar einen weiteren Knacks erlitten. Sein jetziges Schweigen deutete darauf hin.
»Früher hat man zu so einem wie dir gesagt, er soll sich in Wasseralfingen eine gießen lassen«, grinste der Kollege aufmunternd und überlegte, ob Linkohr überhaupt wusste, dass dies eine Anspielung auf die Glockengießerei in Wasseralfingen bei Aalen war.
Linkohr musste schmerzlich an seine letzte Verflossene denken: Mariella. Irgendwann hatte er es sattgehabt, dass sie meist von ihrem Bruder begleitet wurde, der darüber hinaus ein gestörtes Verhältnis zur Polizei zu haben schien. Weshalb, das hatte Linkohr nicht ergründen können. Er musste sich jetzt ablenken, und da kam ihm ein neuer großer Fall gerade recht. Dann war es ohnehin besser, wieder frei und ungebunden zu sein. Endlich sah auch seine Junggesellenbude wieder so aus, wie er sie mochte – das hieß: ziemlich unaufgeräumt. Trotz des Chaos fand er stets, was er suchte. Das war bei Mariellas angeblicher Ordnung ganz anders gewesen.
»Das wird schon wieder«, klopfte ihm der Kollege väterlich auf die Schulter, während Schmittke noch immer telefonierte. Offenbar musste Direktionsleiter Hans Baldachin höchstpersönlich die weitere Vorgehensweise entscheiden. Linkohr hoffte inständig, dass es eine Sonderkommission unter der Leitung von Hauptkommissar August Häberle geben würde. Häberle galt schließlich als Spezialist für besonders knifflige Fälle. Er hatte bis vor wenigen Jahren landesweit internationale Verbrecher gejagt, es dann aber vorgezogen, wieder in die Provinz zurückzukehren. Immerhin war er Mitte 50, besaß hier ein schmuckes Häuschen und wollte nicht länger die umständliche Fahrerei nach Stuttgart in Kauf nehmen und täglich fast zwölf Stunden von seiner Frau getrennt sein.
Linkohrs Stimmung stieg, als er aus Schmittkes Bemerkungen am Telefon herauszuhören glaubte, dass tatsächlich Häberle nach Geislingen entsandt werden sollte. Mit diesem erfahrenen Kommissar in einer Sonderkommission zusammenzuarbeiten, war jedes Mal trotz des Stresses ein Vergnügen. Und wenn Linkohr richtig gezählt hatte, würde dies bereits der zehnte Fall sein, den sie gemeinsam bearbeiteten. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Häberle auch heute großen Wert darauf legen würde, ihn in die Sonderkommission aufzunehmen.
Schmittke legte auf und wandte sich den beiden Kriminalisten zu: »Häberle wird kommen. Er bringt noch ein paar Kollegen mit rauf.«
Linkohr nickte begeistert. Mit einem Schlag war der Liebeskummer vergessen. Er wusste, was jetzt zu tun war: Im Lehrsaal mussten eiligst Computerarbeitsplätze eingerichtet werden. Deshalb verließ er den Raum, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen.
Der im Dienst ergraute Kollege wollte sich unterdessen um mögliche Vermisstenfälle in der näheren und weiteren Umgebung kümmern. Irgendwo
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