Kurzschluss
Nachwuchsermittler. »Aber sie lässt sich links durchs hohe Gras locker umfahren. Gibt dort genügend Platz. Tun wohl viele, so wie das aussieht.« Er schien auf eine Reaktion zu warten, doch diese blieb aus. Leicht verwundert fuhr er deshalb fort: »Wir haben in der Nähe des Tatorts eine ganze Menge Gerümpel gefunden. Coladosen, zerschlagene Sektflaschen, Pornoheftchen, Plastiktüten von Aldi und sogar einen alten Stromzähler.«
»Einen was, bitte?« Endlich war Schmittkes Neugier geweckt. Er setzte sich aufrecht hinter seinen Schreibtisch.
»Stromzähler«, wiederholte der Kollege. »So ein klobiges Ding mit Zählwerk und rotierender Scheibe, hat jeder von uns daheim. Einfach ins Gebüsch geworfen.«
»Hat da einer seinen Haushalt aufgelöst und sein Zeug auf diese Weise entsorgt?«, fragte der Dienstälteste dazwischen.
»Ich würd eher sagen, da hat einer ein Haus abgerissen. Denn nur dann braucht man so ein Ding nicht mehr. Aber ich geh mal davon aus, dass das E-Werk, wenn’s vor dem Abriss die Leitung abklemmt, den Zähler normalerweise ausbaut und mitnimmt.«
Schmittke nickte. »So denke ich mir das auch. Wie weit war der Zähler vom Fundort der Leiche entfernt?«
»15, 20 Meter. Dort, wo man gerade noch mit einem Fahrzeug hinkommt.«
»Diese Dinger haben doch eine Eichnummer oder ein Typenschild oder so was. Damit muss sich feststellen lassen, wo der Zähler zuletzt montiert war.«
»Davon gehe ich aus«, bestätigte der junge Kollege, der sich jetzt vollends auf den Besuchertisch setzte. »Dürfte nicht schwer sein, denn Eigentümer des Zählers ist das Albwerk. So steht’s drauf.«
Schmittke wurde hellhörig. Der Name dieses Unternehmens war heute schon einmal gefallen. Speidel, der Mann, der auf den Toten gestoßen war, hatte von zwei oder drei Elektrikern berichtet, die er vorletzte Woche an einem Strommast am See gesehen haben wollte. Aber die würden vermutlich kaum einen Zähler ins Gebüsch werfen, ermahnte ihn eine innere Stimme.
»Außerdem«, fuhr der Jüngere fort, »haben die Kollegen jede Menge Papier zusammengeklaubt. Ziemlich nass und schmutzig alles. Sie wollen es noch auswerten. Vieles davon kann schon Wochen dort rumliegen. Zum Beispiel …«, er faltete einen Notizzettel auseinander, »es ist ein Parkschein vom Dienstag, 2. Juni aus Mirow.«
Schmittke und der andere sahen sich verwundert an. »Mirow?«, wiederholte der Chef, »das klingt irgendwie russisch.«
»Ist es aber nicht«, entgegnete der auf dem Tisch sitzende Kollege. »Absolut deutsch. Mecklenburg-Vorpommern. Weit im Norden.«
*
Kriminalhauptkommissar August Häberle fuhr gegen 14 Uhr mit dem weißen Dienst-Audi in die 25 Kilometer vom Direktionssitz Göppingen entfernte Kleinstadt Geislingen – oder besser gesagt: Er kroch von einer roten Ampel zur nächsten. Zu diesem Zeitpunkt war es dem Pressesprecher nach mehreren Versuchen gelungen, der Staatsanwaltschaft das Einverständnis abzuringen, eine Personenbeschreibung des unbekannten Toten an die Medien zu versenden. Allerdings hatte Ziegler auf neutralen Formulierungen bestanden. Das Wort Tötungsdelikt musste gestrichen werden. Deshalb hieß es nun in den 14-Uhr-Nachrichten der Ulmer Regionalsender Radio 7 und Donau 3 FM lediglich, dass man in einem Teich bei Geislingen einen unbekannten Ertrunkenen gefunden habe, dessen Identität bislang nicht zu klären gewesen sei. Häberle drehte das Autoradio lauter, um die nun folgende Personenbeschreibung besser zu hören. Insgeheim bezweifelte er aber, dass der Aufruf um Hinweise erfolgreich sein würde. Immerhin war der Mann bereits seit mindestens drei Tagen tot, sodass ihn längst jemand hätte vermissen müssen. Andererseits gestand sich der Ermittler ein, gab es genügend Singles, deren Verschwinden nicht sofort jemandem auffiel. Normalerweise müsste sein plötzliches Fernbleiben zumindest die Arbeitskollegen stutzig machen. Aber was war bei einem Mordfall schon normal? Häberles Gehirn projizierte ihm schlaglichtartig jede Menge Verbrechen, die er während seines langen Berufslebens aufgeklärt hatte und bei denen es immer Ungewöhnliches und Merkwürdiges gegeben hatte. Wenn der menschliche Geist ausrastete, war meist eine Verkettung unglücklicher Umstände vorausgegangen. Es sei denn, man hatte es mit Killern oder Auftragsmorden zu tun, bei denen es galt, jemanden bewusst und zielgerichtet aus dem Weg zu räumen. Aber auch dann, so sinnierte er, waren Ereignisse zusammengekommen, die den
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