Kurzschluss
den See hinweg verläuft eine Leitung. Direkt über die Plattform hinweg.«
»Wer hat da rumgeschraubt?«
»Die vom Albwerk«, erwiderte Speidel. »Zwei, drei Mann. Sie hatten so einen Hubsteiger dabei.«
»Haben Sie mit denen gesprochen?«
»Nein – hätte ich sollen?«
Schmittke schüttelte schweigend den Kopf. Er hoffte inständig, dass die Obduktion der Leiche einen Selbstmord ergeben würde. Falls nicht, stand ihm ziemlich viel Arbeit ins Haus. Aber wenigstens würde er von diesem Lokalreporter verschont bleiben. Georg Sander, seit Jahr und Tag für Polizei- und Gerichtsreportagen zuständig, war nämlich am Donnerstag für zweieinhalb Wochen in den Urlaub gefahren. Schmittke hatte das zufällig mitbekommen und war froh darüber.
Auch Herbert Braun konnte nichts Wesentliches zu dem Geschehen am See beitragen. Er hatte geduldig in einem Aufenthaltsraum gewartet, bis Schmittke ihn in das Besprechungszimmer bat. »Ich geh so gut wie nie an dieser Stelle ans Ufer«, erklärte er. »Schon gar nicht zu dieser Jahreszeit. Dort brüten Enten und Blesshühner und viele Vogelarten, die man nicht stören sollte.«
Schmittke hatte davon gehört, dass sich Braun im Naturschutz engagierte. »Darf ich nur zum Verständnis fragen, was Sie um diese Morgenstunde am See gemacht haben?«
Brauns Gesicht wurde ernst. »Mich hat dasselbe Schicksal ereilt wie den Herrn, der vor mir hier war.« Er hatte zuvor draußen mit ihm kurz gesprochen.
»Sie sind auch arbeitslos?«
»Ja – und noch zwei Jahre älter als der Herr Speidel. Aber ich hab eine Aufgabe gefunden, die mich befriedigt. Zwar kann ich davon nicht leben, aber wissen Sie, irgendwann stellt sich doch die Frage, was wirklich wichtig ist. Ich hab mir die Zeit bis zur Rente zwar anders vorgestellt, aber nun leben wir halt vom Ersparten. Wer was auf die Seite gebracht hat, kriegt ja nichts mehr in diesem Land, wenn er keine Stelle mehr findet.«
Schmittke nickte.
»Ja«, fuhr Braun nachdenklich fort. »Ist es nicht unglaublich, dass die ganze Welt nur noch nach Profit trachtet? Der Planet wird ausgebeutet bis zum Kollaps. Und dieser Kollaps wird kommen, davon bin ich überzeugt, Herr Schmittke.«
Der Kriminalist ließ ein paar Sekunden verstreichen. »Darf ich fragen, welche Aufgabe Sie gefunden haben?«
»Naturschutz«, erwiderte Braun. »Ich bin Naturschutzbeauftragter des Landkreises.« Er lächelte.
Dem Kriminalisten wurde plötzlich klar, woher er den Namen des Mannes kannte. »Wenn Sie da draußen am See Ihre Rundgänge machen – ist Ihnen da der Herr Speidel schon mal begegnet?«
»Nein, überhaupt nicht. Aber ich komm nicht regelmäßig her, auch nicht zu bestimmten Uhrzeiten. Außerdem war ich bis vorletzten Sonntag eine Woche lang weg.«
»Verreist?«, fragte der Kriminalist eher beiläufig.
»Ja, aber in deutschen Landen. Zu mehr reicht’s nicht mehr. MeckPomm, Seenplatte und so. Ein bisschen Tapetenwechsel muss ab und zu sein. Tolle Gegend da oben, wenn Sie Freude an der Natur haben.«
Dr. Gerhard Kräuter war ein erfahrener Gerichtsmediziner. Und er konnte mit der Gelassenheit und Distanz, wie es seinem Berufsstand gebührte, an die Arbeit gehen – an eine Arbeit, die den Normalbürgern Angst und Schrecken einjagte. Kräuter, ein schlanker Mann mittleren Alters und mit leicht sächsischem Dialekt, hatte das Talent, auch die entsetzlichsten Befunde sachlich und emotionslos darzulegen. Und wenn er vor Gericht sein Gutachten über die Todesursache eines Mordopfers erläuterte, als doziere er vor Medizinstudenten, dann überlegte sich mancher Zuhörer, wie es wohl tief in der Seele dieses Mannes aussehen mochte.
Es war gegen 13 Uhr, als Kräuter das Ergebnis der Obduktion an die Staatsanwaltschaft meldete: »Tod durch Erwürgen.« Nüchtern fügte er hinzu: »Es besteht kein Zweifel, dass der Mann bereits tot war, als er im See versenkt wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt er zwischen 3 und 14 Tagen im Wasser.«
Als diese Nachricht wenig später bei der Kriminalaußenstelle in Geislingen eintraf, rätselten Schmittke und zwei seiner Kollegen noch immer, wer der Tote sein könnte. In seinen Taschen hatte sich nichts gefunden, was auf seine Identität schließen ließe. Zwar steckte in der Gesäßtasche ein Geldbeutel, doch enthielt er weder einen Ausweis noch irgendwelche Kreditkarten. Und es gab auch kein Handy, wie es den Kriminalisten in solchen Fällen oft genug eine große Hilfe gewesen war.
»Na also, endlich mal wieder was los
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