Kurzschluss
wenn ich mich recht entsinne.«
»Hat er, ja«, erwiderte Silke Rothfuß, »aber er musste ein paar Dinge mit seiner alten Tante erledigen, irgendwo hinter Dresden.«
»Alle fahren ins Ossiland«, kommentierte Bodling grinsend und stellte die Kaffeetasse auf seinen Schreibtisch. »Aber dann sieht man wenigstens, wo unser Geld hinfließt.«
»Na ja«, gab die Sekretärin charmant lächelnd zurück, »ganz so kritisch sollten Sie es nicht sehen. Es war schließlich auch alles desolat da drüben.«
»Aber 20 Jahre bauen wir inzwischen auf. Wenn Sie das rückblickend betrachten, verhält sich das wie das Kriegsende 1945 zum Jahr 1965 im Wessiland. Und unsere Väter hatten niemanden, der sie gesponsert hat, auf jeden Fall niemanden, der einen Soli-Zuschlag für sie gezahlt hätte.« Bodling entschied, sich gegenwärtig auf keine weitere Diskussion einzulassen. Er wechselte deshalb abrupt das Thema. »Hab ich das richtig in Erinnerung, dass Wollek sogar von drüben kommt?«
Sie stutzte für einen Moment. Wie konnte ihr Chef vermuten, dass ausgerechnet sie die Personalakte im Kopf hatte? »Ich«, sie überlegte, was sie antworten sollte, »ich glaube nicht. Kommt er nicht aus dem Norden? Soll ich nachsehen lassen?«
Bodling schüttelte den Kopf. Das war gerade unwichtig. Wollek, so entsann er sich, war jedenfalls aus familiären Gründen in den süddeutschen Raum gezogen, nachdem er zuvor bei einem der großen Stromkonzerne bereits in jungen Jahren Karriere gemacht hatte. Es war mit ein Verdienst Wolleks, dass der Einkauf an der Leipziger Börse so reibungslos, vor allem aber meist preisgünstig klappte. »Versuchen Sie, ihn anzurufen«, entschied Bodling. »Sie haben seine Nummer?«
»Ja, natürlich«, erwiderte sie eine Spur kühler und wollte noch etwas hinzufügen. Doch durch die angelehnte Tür zum Vorzimmer klang blechern eine Melodie, die von ihrem Handy herrührte. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie knapp und verließ den Raum.
Bodling ließ die Worte seiner Aushilfssekretärin nachwirken. Er hatte überhaupt keine Ahnung gehabt, dass Wollek ein Camper war. Dabei interessierte ihn dieses Thema rein persönlich. Es war ein nie erfüllter Jugendtraum geblieben, einmal mit einem Wohnmobil durch Europa zu fahren. Bodling nahm sich vor, mit Wollek in einer ruhigen Stunde darüber zu reden.
*
Wolfgang Taler war ein Mann der Tat. Der Niedersachse hatte in all den Jahren, in denen er zwischen Stuttgart und Ulm tätig war, schnell das Ärmelaufkrempeln der Schwaben gelernt. Er verkörperte wie kaum ein anderer zwei Eigenschaften auf geniale Weise: Einerseits konnte er als Frohnatur wortreich und mit gewissem Witz jeden noch so komplizierten Sachverhalt laienhaft darlegen, andererseits blieb es bei ihm nicht bei großen Sprüchen. Einer seiner Lieblingssätze lautete: »Da gehen wir hin und machen das.« Taler hatte sich als Geschäftsführer der regionalen Gasversorgungsgesellschaft, der er bis vor Kurzem noch gewesen war, bereits zu einem Zeitpunkt mit den Energiemärkten auseinandergesetzt, als dies in den Medien noch kein großes Thema war. Er kannte die Mechanismen, die dazu geführt hatten, dass sich der Gaspreis am Öl orientierte. Deshalb war er ein Berufsleben lang nie müde geworden, die Vorzüge des Gases zu preisen – auch wenn ihm die ›Ölseite‹ immer wieder vorhielt, dass sich seine betriebswirtschaftlichen Berechnungen nicht eins zu eins auf die Nutzung von Heizöl umsetzen ließen.
Ein Mann wie Wolfgang Taler konnte nicht einfach in den Ruhestand gehen. Zwar war er jetzt Pensionär, doch hatte es sich so ergeben, dass just zu diesem Zeitpunkt die Kommunalwahlen anstanden und er sogleich für den Kreistag und den Gemeinderat kandidierte. Ganz typisch für ihn: wenn schon, dann alles.
Außerdem war er weiterhin als energiepolitischer Berater gefragt. Zu welchen innovativen Ideen er in der Lage war, hatte er vor Jahrzehnten bereits bewiesen. Damals hatte er nahezu weltweit Schlagzeilen gemacht, weil er mithilfe eines Nilhechts konstant die Qualität des Trinkwassers überprüfte. Und das funktionierte ganz einfach: Ein Aquarium, das in seinem Büro stand, wurde aus der Trinkwasserleitung gespeist. Wären dort auch nur die geringsten Schadstoffe angekommen, hätte dies das Wohlbefinden des höchst sensiblen Nilhechts sofort beeinträchtigt. Und weil dies, wie Taler damals entdeckte hatte, mit elektrischen Sensoren gemessen werden konnte, hätte die Elektronik sofort Alarm
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