Kurzschluss
Blick zu ihrem Ehemann, der erneut nickte. »Es sind damals tatsächlich auffallend viele junge Frauen aus dem Osten aufgetaucht. Polinnen, Russinnen, Tschechinnen und von noch weiter her. Das ist uns allen aufgefallen. Die meisten waren nur ganz kurz in Arbeitsgruppen eingeteilt und dann hat man sie nicht mehr gesehen.« Roswitha Speidel drückte ihre Brille fester auf die Nase und wirkte dabei wie ein verlegenes Mädchen. »Das muss nichts weiter bedeuten.«
»Muss es auch nicht«, beruhigte Häberle, obwohl ihm klar war, was sie gemeint hatte. »Und es wurde gemutmaßt, der Herr Büttner habe damit etwas zu tun?«, hakte er nach.
Sie nickte. »Es hat geheißen, er würde Filme drehen. Zeugs halt, das man im Internet kaufen kann.« Offenbar scheute sie sich davor, gewisse Dinge beim Namen zu nennen.
Häberle wollte nicht weiter nachfragen. Wenn an diesen Gerüchten etwas dran war, würden es die Computerexperten mithilfe Büttners Festplatte oder anderen Speichermedien rauskriegen. Dies brachte ihn auf einen anderen Gedanken. »Was mich noch interessieren würde«, gab er sich zurückhaltend und wandte sich an Arthur Speidel: »Sie sind auf der Suche nach einem Job. Haben Sie’s schon übers Internet versucht?«
»Vergessen Sie’s! Schauen Sie doch mal rein. Da finden Sie zwar auch übers Arbeitsamt jede Menge Stellenangebote, aber alles nur Zeitarbeitsgeschichten. Vergessen Sie’s!«
»Sie sind Naturfreund?« Häberle musste sich eingestehen, dass dieser Themenwechsel durchaus Argwohn erwecken konnte.
»Ich?« Speidel reagierte wie vermutet. »Weil ich gestern früh da draußen war?« Er lächelte. »Was heißt Naturfreund? Was soll ich denn tun, wenn ich morgens nicht schlafen kann? So ein frischer Morgen macht den Kopf frei.«
»Sieht man da draußen eigentlich Biber?« Häberle fuhr nun volles Risiko.
»Biber?« Speidels Gesichtszüge veränderten sich. Er schien mit dieser Frage überhaupt nichts anfangen zu können. »Biber«, wiederholte er. »Haben Sie’s nicht gelesen? Die Biber sind da. Aber das war zu erwarten – seit Jahren schon. Diese feuchte Landschaft da draußen bei den Weiherwiesen und entlang der Rohrach ist für die Viecher ein wahres Paradies.«
Häberle hatte neulich in der Zeitung gelesen, dass tatsächlich ein Biber aufgetaucht war. Naturfreunde werteten dies als Erfolg für die Wiederansiedlung des streng geschützten Nagers im nahen Bayern. Von dort waren ganze Biberfamilien der Donau aufwärts bis Ulm gefolgt – und andere hatten sich den Weg entlang der Lone gesucht, worauf die zahlreichen angenagten und gefällten Uferbäume schließen ließen. Experten hatten gerätselt, wie lange es wohl dauern würde, bis es Europas größter Nager vom Wassersystem der Donau zu den nordwärts fließenden Flüssen schaffen würde. Immerhin musste er dazu die eher trockene Hochfläche der Alb überwinden. Als schmalste Stelle dafür hatten die Naturfreunde die zehn Kilometer zwischen dem Lone-Quelltopf in Urspring und dem Geislinger Rohrachtal ausgemacht. Und tatsächlich war es erst vor Kurzem zumindest einem dieser Tiere gelungen, trotz so gefährlicher Hindernisse wie der Eisenbahn und der Bundesstraße 10, dieses Feuchtgebiet zu erreichen.
»Aber dass sie den einzigen Biber, der jetzt aufgetaucht ist, gleich ausgewiesen haben, finde ich ziemlich lächerlich«, beeilte sich Speidel zu sagen. »Anstatt ihn der Natur zu überlassen und sich zu freuen, dass wir einen haben, haben sie ihn ins Auto gepackt und fünf Kilometer weiter flussabwärts gefahren – so ein Schwachsinn.«
Häberle hatte dies vor einigen Tagen auch mit Verwunderung und Heiterkeit gelesen. Bloß weil sich der Biber in der nahen Stadt in einen Hinterhof verirrt hatte, war eines Vormittags gleich der Biberbeauftragte des Landes aus dem fernen Mühlacker herzitiert worden; genau so, wie es eben der deutschen Gründlichkeit und Reglementierungswut entsprach. Weil kein einziger der örtlichen Naturexperten entscheiden wollte, was zum Schutz des Tieres getan werden konnte, war allen Ernstes ein Fachmann mehr als 100 Kilometer nach Geislingen gefahren. Häberle hatte bei der morgendlichen Lektüre des Zeitungsartikels gemeinsam mit Ehefrau Susanne darüber nur den Kopf schütteln können. »Wenn wir keine anderen Probleme haben«, hatte er bemerkt. Die Experten, die so lange darauf gewartet hatten, endlich einen Biber im Rohrachtal zu haben, befürchteten, er würde sich weiter flussabwärts orientieren und in den
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