Kurzschluss
mutmaßte aber, dass gewiss bei der EU in Brüssel die Stelle eines Biberbeauftragten geschaffen worden war. Möglicherweise musste dieser die Norm für einen europäischen Biber ausarbeiten: Größe, Gewicht, Beschaffenheit des Fells. Bei Tomaten, Gurken und Traktorensitzen gab es ja etwas Ähnliches, hatte er mal irgendwo gelesen. Er wollte noch etwas anderes wissen und hakte deshalb nach: »Aber es interessieren sich natürlich auch Privatmenschen für den Biber?«
»Ja, natürlich, die letzten Zeitungsartikel haben dafür sensibilisiert«, gab sich Braun begeistert. »Ich werde ganz oft darauf angesprochen, gerade da draußen am See. Alle wollen den Biber sehen. Aber vielleicht haben Sie es gelesen, wir haben das einzige Exemplar, das bisher nachgewiesen werden konnte – übrigens stolze 17 Kilogramm schwer, wir haben ihn gewogen – weiter talabwärts gebracht. Das widerspricht zwar den Bedingungen des Wiederansiedlungsprogramms, weil man die natürliche Ausbreitung haben wollte, aber der Kerl hätte vermutlich das vier Kilometer lange Stadtgebiet mit den Verdolungen und Einlaufrechen kaum unbeschadet durchqueren können.«
Einen Biber-Shuttle hatten sie also eingerichtet, dachte Linkohr spöttisch.
»Können Sie sich erinnern, ob sich in letzter Zeit jemand auffallend stark für Biber interessiert hat?«
Braun schien diese Frage abwegig zu sein. »Hat das denn etwas mit dem Toten zu tun?«
»Leider können wir zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nichts ausschließen.«
»Wie gesagt«, fuhr Braun fort und blinzelte wieder nervös zu seiner Uhr, »ich werd eigentlich dauernd danach gefragt. Auch der Sander von der Zeitung, das ist der Lokaljournalist hier, hat sich vor einigen Wochen ausführlich informiert.«
»Oder hat jemand schriftliches Material zum Thema Biber gewollt?«
»Ne«, schüttelte Braun langsam und nachdenklich den Kopf. »Aber ich denke, das können Sie zuhauf aus dem Internet ziehen.«
Braun hatte sicher recht, überlegte Linkohr. »Dann will ich Sie nicht länger belästigen. Sie haben es eilig.«
»Man darf Rentner nicht warten lassen«, entgegnete der Naturschützer. »Rentner haben nie Zeit.«
Linkohr erhob sich, doch fiel ihm eine weitere Frage ein: »Sie sagten, die Rohrach sei ein ziemlich sauberes Gewässer und naturnah. Keine Probleme also?« Der Jungkriminalist musste sich eingestehen, dass er kein konkretes Thema dazu im Auge hatte. Aber erfahrungsgemäß lagen Naturschützer immer mit jemandem im Clinch.
»Probleme?«, wiederholte Braun und stand ebenfalls auf. »Bis zum See hat die Rohrach vielleicht gerade mal einen Kilometer hinter sich. Keine Kläranlage, kein immissionsträchtiger Industriebetrieb – nur die landwirtschaftliche Düngung droben auf der Hochfläche. Nein, bis zum See können wir nicht klagen. 200 bis 300 Meter weiter unten haben wir diese Forellenzuchtanlage, die natürlich den weiteren Flussverlauf mit jeder Menge Fischkot anreichert. Außerdem gab es Zeiten, da wurde für die Fischzucht viel zu viel Wasser der Rohrach entnommen – womit das Flussbett auf ein paar 100 Meter völlig trocken gefallen ist.«
»Und Kraftwerke?«, fiel Linkohr plötzlich Strom ein.
»Sie meinen Flusskraftwerke? Nein, keines. Obwohl es ein Stück weiter unten einen kräftigen Geländeabsturz gibt, diesen Wasserfall im Rorgensteig. Eine Turbine, soweit ich das weiß, hat’s früher mal bei der WMF gegeben.«
Linkohr nickte. Dass der weltweit bekannte Haushaltswarenhersteller die Wasserkraft zumindest früher zur Stromgewinnung genutzt hatte, war ihm geläufig. Immerhin hatte es entlang der Rohrach einst auch viele Mühlen gegeben. Keine einzige davon war mehr in Betrieb.
»Und dann natürlich das Albwerk«, fuhr Braun informationsfreudig fort. »Das dortige Wasserkraftwerk läuft seit 1910, seit fast 100 Jahren. Es war so etwas wie die Keimzelle des Stromversorgungsunternehmens. Damals gab’s ja noch keine Verbundnetze und der Strom wurde vor Ort gemacht.« Braun geleitete seinen Gast zur Diele. »Es wäre ein Segen, wenn wir das wieder schaffen würden. Strom vor Ort produzieren.«
»Dann müssten wir aber die Wasserkraft voll ausschöpfen – zum Leidwesen der Natur, oder?« Linkohr blieb stehen und drehte sich zu Braun um.
»Da sind wieder die beiden Herzen, die in meiner Brust schlagen. Leidwesen, ja, wenn ich mir überlege, dass jedes Flusskraftwerk ein Eingriff in die Natur ist. Aber andererseits ist Elektrizität die sauberste Energie überhaupt,
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