Kurzschluss
dann hab ich mich mal gemeldet. Ist eine ziemlich interessante Sache, weil Sie im Laufe des Tages alle möglichen Leute kennenlernen, die zu Ihnen hochsteigen. Wenn Sie wollen, schauen Sie kommenden Sonntag vorbei. Von 10 bis 17 Uhr bin ich oben.«
Linkohr nahm sich vor, dies tatsächlich zu tun, falls bis dahin der Fall geklärt sein sollte und er seine neue Vollwertkost-Bekannte zu einem Spaziergang überreden konnte. Vielleicht würde ihm das sogar gelingen, denn Wandern war schließlich gesund und passte sicher in ihr Wellness-Konzept.
»Das Albwerk«, fügte Wollek an, »macht sich ohnehin für den Erhalt von Kulturdenkmälern stark. Es sponsert sogar den Strom für die Strahler, die den Ödenturm und die nahe Burgruine Helfenstein bei Nacht erleuchten.« Er lächelte Linkohr entspannt zu: »Da sage noch einer, die Stromversorger seien alles böse Buben.«
24
Häberle war nach seiner Vernehmung in Ulm wieder auf der Rückfahrt nach Geislingen. Unterwegs rief er die Kollegen der Sonderkommission an, um sich über die neuesten Entwicklungen informieren zu lassen. Ein Kriminalist berichtete, dass sich Arthur Speidel gemeldet und eine ergänzende Aussage gemacht habe.
»Er hat den Zähler weggeworfen«, fuhr die Stimme im Lautsprecher fort. »Seine Frau hat ihn über die Frau Büttner beim Albwerk besorgt. Er wollte damit den Stromverbrauch seiner Gartenlichter prüfen, das hat aber nicht geklappt. Außerdem hat er sich noch so eine alte Schaltuhr geben lassen, um die Lichter automatisch an- und auszuschalten. Dieses Teil hat er noch herumliegen.«
»Seid ihr bei ihm draußen gewesen?«, gab sich der Chefermittler interessiert, während er viel zu dicht auf einen Sattelzug auffuhr, der die Steige von der Hochfläche bei Amstetten in das Rohrachtal hinabkroch.
»Waren wir«, bestätigte der Angerufene. »Speidels Angaben erscheinen glaubhaft. Er hat im Herbst seinen Vorgarten umgekrempelt und tatsächlich Strahler installiert. Kein Solarzeugs, das nur ein paar Stunden brennt, sondern richtige 230-Volt-Lampen.«
Häberle fragte: »Er hat seinen Garten umgekrempelt?«
»Ja, sind aber nur ein paar Quadratmeter. Er wohnt im Rorgensteig – vermutlich kennen Sie die beengten Verhältnisse dort. Aber das kann sich sehen lassen.«
»Hat er denn auch etwas gemauert?« Häberle drosselte das Tempo, um den Sicherheitsabstand zum Sattelzug zu vergrößern.
»Gemauert?« Sein Gesprächspartner war irritiert. »Gemauert, ja, wie man das heutzutage halt so macht. Nicht mit Beton und Zement, sondern so … « Ihm fielen die passenden Worte offenbar nicht ein.
»So eine Trockenmauer«, ergänzte Häberle. »Naturstein auf Naturstein, mit vielen Ritzen und Fugen für das Kleingetier.«
»Ja, so könnte man es ausdrücken.«
»Und um welche Steine es sich dabei handelt – das haben Sie vermutlich nicht gefragt?« Häberle wollte es nicht vorwurfsvoll klingen lassen und bemühte sich um einen eher ironischen Unterton.
»Nein, Sie meinen doch nicht …?« Der andere schien verstanden zu haben.
»Exakt, Herr Kollege.« Häberle grinste. »Würzburger Muschelkalk. Ich werd mir das mal anschauen.« Er ließ sich die genaue Adresse Speidels geben, denn das Wohngebiet Rorgensteig würde er in zwei Minuten erreichen.
Er bog am Friedhof links von der Bundesstraße ab, musste kurz einen entgegenkommenden Tankzug abwarten und war gleich darauf bei der angegebenen Hausnummer. Das Gebäude, das die Speidels bewohnten, fügte sich mit seiner mausgrauen Fassadenfarbe nahtlos in die Umgebung ein. Es wirkte gepflegt – und der schmale Vorgarten, der sich auch an den Giebelseiten entlangzog, war tatsächlich frisch angelegt. Häberle stellte den Wagen an einer Stelle ab, die ihm breit genug erschien und ging im kühlen Nieselregen die paar Schritte zum Grundstück. Deutlich war das Rauschen der Rohrach zu hören, die hier inmitten der Bebauung an einem natürlichen, etwa zehn Meter tiefen Geländeabsturz zu einem wahren Wildbach wurde.
Der Chefermittler blieb für einen Augenblick im Vorgarten stehen und sog den frischen Duft des Rindenmulchs ein, der in dicken Schichten in den Pflanzbeeten lag. Junge Stauden hatten bereits kräftige Blätter geschoben. In zwei Reihen zogen sich geschwungene Trockenmauern über die sanft ansteigende Böschung. Ob dies Würzburger Muschelkalk war?, überlegte Häberle und musste sich eingestehen, nie zuvor einen Garten unter solchen Gesichtspunkten betrachtet zu haben. Er ging über ein paar Stufen
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