Kuss der Ewigkeit
Warten heute fühlte sich sehr wie diese beiden Besuche bei den Ältesten an. Ich beobachtete unsere Führerin aufmerksam, sah oder hörte jedoch nicht, dass ihr jemand das Zeichen gegeben hätte, uns einzulassen. Sie öffnete einfach die Tür auf diese unheimliche, geistervampirhafte Weise.
» Der Rat wird euch jetzt empfangen«, sagte sie, und trat zur Seite, um uns passieren zu lassen.
Meine Schritte waren schwer, als ich Nathanial in den Raum folgte. In meinem Bauch schwirrten Flugzeuge, bis ich so nervös war, dass ich kaum noch atmen konnte. Entlang der Wand links von mir standen sieben oder acht Männer und Frauen, darunter der Vampir, der mich vorhin angegriffen hatte. Ich nahm an, dass sie alle Vampire waren. Sie musterten uns mit Blicken, die von unsicherer Neugier bis zu vorsichtiger Verachtung reichten. Ich starrte allesamt mit finsterer Miene an, dann sah ich mich im Rest des Raums um. Wenigstens gab es hier Licht, obwohl es von einem Dutzend oder mehr Kandelabern kam, die im Raum verteilt waren. Wie in dem Wartezimmer draußen waren die Wände mit Lagen aus Stoff verhängt, die alles Mögliche verbergen konnten.
Genau in der Mitte des Raums saßen vier Vampire um einen großen Tisch aus verschnörkeltem, dunklem Holz herum und musterten uns. Vermutlich waren sie der Rat. Ihre Position schrie geradezu vor Überlegenheit. Ich war überrascht, Mama Neda an der rechten Seite des Tisches sitzen zu sehen, das Haar genauso zerzaust wie beim ersten Mal, als ich ihr begegnet war. Sie trug immer noch das grässliche Armband, das Nathanial ihr gegeben hatte. Ihre blutleeren Lippen verzerrten sich zu einem Lächeln, als sie bemerkte, dass ich sie ansah, und sie fummelte an einer der orangefarbenen Perlen herum. Der Mann, der neben ihr saß, war schon ein paar Jahre über sein bestes Alter hinaus, mit schütterem Haar, das er sich über den kahler werdenden Scheitel gekämmt hatte. Er trug ein fürchterliches Tweedjackett, doch wenigstens sah er geistig gesünder als Mama Neda aus.
Na ja … Wer würde das nicht? Die Frau neben ihm betrachtete uns aus kupferfarbenen Augen, lange, dunkle Zöpfe umrahmten ihr Gesicht. Ich sah noch einmal genauer hin. Nein, keine Frau. Sie konnte nicht älter als zwölf oder dreizehn sein. Was machte ein so junges Mädchen am Tisch des Rates?
Ich warf einen Blick zurück zu den Vampiren an der Wand. Vielleicht hatte ich mich geirrt? Aber nein, die Leute am Tisch umgab eine Aura der Autorität und die Leute an der Wand ein Hauch von Angst. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Tisch und betrachtete das letzte Mitglied des Rates. Er saß am Kopf des Tisches, hatte den Stuhl nach hinten gekippt und die gestiefelten Füße auf das polierte Holz des Tisches gelegt. Er sah aus, als gehöre er noch weniger hierher als das Mädchen. Ich war mir nicht sicher, ob er die älteren Ratsmitglieder verspottete oder nicht. Sein Haar war leuchtend grün gefärbt und zu einem Dutzend kleiner Stacheln gestylt. Einige glänzende Piercings zierten sein Gesicht und, wie ich erkannte, auch seine Brustwarzen, die unter seinem Netzhemd sichtbar waren.
Ich blieb stehen, und Nathanial drehte sich zu mir um. Sein Gesichtsausdruck war eine besorgte Warnung.
Ich ignorierte sie. » Das ist der Rat?«
» Ja.« Nathanial ergriff meine Hand und zog mich vorwärts. » Zeig ein wenig Respekt.«
» Aber… Eine von ihnen ist noch ein Kind und der andere…« Ich fand nicht einmal die passenden Worte, um den grünhaarigen Vampir zu beschreiben.
Jemand an der Wand gab einen schockierten Laut von sich. Okay, dann sah der grünhaarige Vampir eben ein paar Jahre älter aus als ich, aber ich hatte Älteste erwartet. Madame Neda und der Mann in Tweed waren eine Sache, aber ein vorpubertärer Teenager und ein Goth-Punk waren so was von nicht das, womit ich gerechnet hatte.
Nathanials Griff um meine Hand wurde schmerzhaft. » Tatius ist aus alter Zeit. Jetzt sei still und komm.« Er gab mir einen weiteren Ruck, und ich lief wieder hinter ihm her, wobei ich mich fragte, wie lange Tatius wohl jeden Abend brauchte, um sein Haar zu frisieren. Er war nicht mit diesem Haar verwandelt worden, und nach dem, was Mama Neda gesagt hatte, blieben wir in der Gestalt, die wir hatten, wenn wir starben.
Die Vampire zu meiner Linken murmelten untereinander. Mein Gehör litt anscheinend darunter, dass ich mich nicht ernährt hatte, denn die Stimmen der Vampire waren zu leise, als dass ich irgendwelche Bemerkungen im
Weitere Kostenlose Bücher