Kuss der Nacht - Band 02
aussehender Typ. Mit der Nahrungsbeschaffung hatte er bestimmt keine Probleme. Das Beeindruckendste an ihm aber war seine Aura. Wie prickelnde Wellen aus Energie umgab sie ihn. Er war ganz offensichtlich ein Meistervampir.
»Ja, es geht um Thomas Stillwell und Jerome Hawthorn. Wir möchten Sie um Ihre Unterstützung bitten.«
Das höfliche Geplänkel sollte mir Zeit verschaffen, damit ich abschätzen konnte, wie viele Personen noch im Haus waren. Ich lauschte angestrengt, konnte aber nur Flannery, den Ghul-Portier und mich selbst wahrnehmen.
»Gerne doch. Wenn es Recht und Ordnung dient«, antwortete er mit leichtem Spott.
»Ist es Ihnen recht, wenn wir uns hier unterhalten?«, fragte ich, weil ich mich gerne noch weiter umgesehen hätte. »Oder möchten Sie lieber irgendwo unter vier Augen mit mir sprechen?«
Er schlenderte auf mich zu. »Agent Arthur, wenn Sie sich privat mit mir unterhalten möchten, nennen Sie mich Liam. Und ich hoffe doch sehr, Sie wollen etwas anderes bereden als diese leidige Angelegenheit mit Jerome und Thomas.«
Oh, wären wir erst allein, würde es kaum bei einer Plauderei bleiben. Er war in den Mord an seinen Angestellten verwickelt, und ich musste mich dringend um ihn kümmern, festnehmen wollte ich ihn allerdings nicht. Der Durchschnittsbürger glaubte weder an Vampire noch an Ghule. Gerichtlich konnte man gegen mordende Untote also nicht vorgehen.
Nein, eine geheime Abteilung des Heimatschutzministeriums war dafür zuständig, und mein Boss Don betraute dann mich mit der Angelegenheit. Seit ich den Job machte, kursierten unter den Untoten natürlich wilde Gerüchte über meine Person, doch nur ein einziger Vampir kannte meine wahre Identität. Und den hatte ich seit über vier Jahren nicht gesehen.
»Liam, Sie wollen doch wohl nicht mit einer FBI-Agentin flirten, die Sie wegen eines Doppelmordes vernimmt, oder?«
»Catrina, wer nichts zu verbergen hat, braucht sich keine Sorgen zu machen, wenn er die Mühlen des Gesetzes in der Ferne klappern hört. Schließlich habe ich ja beim FBI ausdrücklich darum ersucht, Sie zum Gespräch zu mir zu schicken, hübsch wie Sie sind. Irgendwie habe ich das Gefühl, Sie zu kennen, aber ich würde mich gewiss erinnern, wenn ich schon einmal das Vergnügen gehabt hätte.«
»Hatten Sie nicht«, bemerkte ich sofort. »Ich würde mich ebenfalls erinnern, glauben Sie mir.«
Das war kein Kompliment gewesen, doch auf meine Feststellung hin gluckste er viel zu anzüglich für meinen Geschmack.
»Gewiss doch.«
Du selbstgefälliges Arschloch. Dein Grinsen wird dir gleich vergehen.
»Zurück zum Thema, Liam. Reden wir hier oder unter vier Augen?«
Er seufzte ergeben. »Wenn es denn unbedingt sein muss, können wir es uns in der Bibliothek bequem machen. Folgen Sie mir.«
Durch eine Reihe ebenso pompös ausgestatteter wie menschenleerer Räume gingen wir in die Bibliothek. Sie war umwerfend und beherbergte Hunderte von neuen und antiquarischen Werken. Sogar Schriftrollen waren in einem gläsernen Schaukasten ausgestellt, doch ein riesiges Kunstwerk an der Wand fesselte meinen Blick.
»Es wirkt geradezu . primitiv«, bemerkte ich.
Dem ersten Eindruck nach schien es aus Holz oder Elfenbein zu bestehen, doch bei näherer Betrachtung war es wohl eher aus Knochen. Menschlichen Knochen.
»Es stammt von den Aborigines, ist fast dreihundert Jahre alt. Ein australischer Freund hat es mir geschenkt.«
Liam kam näher, seine türkisblauen Augen begannen smaragdgrün zu funkeln. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Sexuelle Erregung und Blutgier zeigten sich bei Vampiren auf die gleiche Weise. Beides ließ die Augen grün leuchten und die Fangzähne sichtbar werden. Liam war also entweder hungrig oder scharf auf mich. Wie auch immer, ich würde ihm in beiden Fällen nicht dienen können. Mein Handy klingelte. »Hallo«, meldete ich mich.
»Agent Arthur, sind Sie noch mit der Vernehmung von Mr. Flannery beschäftigt?«, erkundigte sich mein Stellvertreter Tate.
»Ja. In einer halben Stunde sind wir durch.«
Sollte heißen: Melde ich mich bis dahin nicht, muss das Team einschreiten. Tate legte kommentarlos auf. Er hasste es, wenn ich einen Fall allein in die Hand nahm. Pech für ihn. In Flannerys Haus herrschte passenderweise Grabesstille, und ich hatte schon lange mit keinem Meistervampir mehr gekämpft.
»Die Polizei hat Sie sicher davon in Kenntnis gesetzt, dass die Leichen von Thomas Stillwell und Jerome Hawthorn fast blutleer waren. Sie wiesen
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