Kuss der Sünde (German Edition)
schlafen, ehe wir unsere Unterhaltung fortsetzen“, schloss sie und schlug die Decke einladend zurück.
„Und du solltest die Briefe verbrennen, ehe ich es mir anders überlege.“
Mit einem Schulterzucken nahm sie den obersten auf, entfaltete ihn und begann zu lesen.
Versailles, 14. September 1784. Mein Freund, es liegt mir fern, Ihren vergangenen Ä u ßerungen eine Bedeutung beizumessen, die weiterhin unser Verhältnis überschattet. Wir wissen beide, dass Sie einen Fehler begingen, und ich nahm Ihre Entschuldigung an. De n noch bitte ich Sie um Geduld und gleichwohl um einen Gefallen, den Sie in Ihrer Großmut gewiss nicht abschlagen werden … eine Summe von elftausend Livres, damit ich meinen Freunden aus einem prekären finanziellen Engpass helfen kann. Meine Vertraute, Mad a me de La Motte, wird alles in die Wege leiten, damit Ihre Leihgabe die Adressaten e r reicht …
„Das ist die Handschrift der Königin.“
Seine Mundwinkel zuckten. „Sieht so aus. Ich an deiner Stelle würde sie vernichten.“
Unbedingt! Sie stieg aus dem Bett, nahm eine Kerze und kniete sich vor den Kamin. Demonstrativ hielt sie den ersten Brief über die Flamme. Sie erfasste die Ecke des Briefes und fraß sich in das Papier. Viviane hielt es in den Kamin, beobachtete wie sich das Dokument unter einem roten Glutrand krümmte und ließ es fallen, kurz bevor das kleine Feuer ihre Finger erreichte. Erst jetzt trat Olivier hinter sie und ging in die Hocke. Seine Knie tauchten rechts und links von ihr auf. Obwohl er sie nicht berührte, strahlte sein Körper Wärme aus. Sie öffnete den nächsten Brief, überflog ihn und verbrannte ihn. Das Häufchen Asche im Kamin wuchs. Ihr Glaube an Recht und Ordnung, ohnehin äußerst instabil, fiel vollends in sich zusammen. Die Königin war involviert. Sie hatte ihren Vater und jeden anderen treuen Untertan hintergangen. Niedergeschlagen musterte sie die Glut, die graue Asche im Kamin.
„Sie hat es geschrieben“, sagte sie nach dem Studium des vierten Briefes, der seinen Vorgängern folgte. „Du hattest mit diesem Betrug überhaupt nichts zu tun.“
„Viviane, ich bin ziemlich gut. Diese Briefe sind von mir“, antwortete er und reichte ihr die letzten beiden.
Ohne sie zu lesen, übergab sie sie den Flammen. „Du hast sie an dich genommen, um sie zu retten. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, es seien Fälschungen.“
„Ich habe sie genommen, um mich zu retten. Du kennst mich nicht. Du deutest mein Handeln, wie es dir gefällt, und es würde dir gefallen, in mir einen Mann mit Ehrgefühl zu sehen. Aber das bin ich nicht.“
Sein Atem streifte ihren Nacken. Sie wartete vergeblich darauf, dass seine Lippen sie berührten, genau an der Stelle, wo sich winzige Härchen aufrichteten. Gemeinsam blickten sie in die schwelende Asche des Kamins.
„Komm jetzt“, forderte er sie auf und erhob sich.
Groß und schlank ragte er über ihr auf. Wieder erinnerte sie sich daran, wie er sie geliebt hatte. „Wohin?“, täuschte sie Unwissenheit vor.
„Die Briefe gibt es nicht mehr, was in unserem gemeinsamen Interesse liegt. Ich war nicht sicher, ob du sie vernichten würdest, und jetzt, da du es getan hast, bringe ich dich nach Hause. Das wolltest du doch.“
„Ich könnte dich noch immer verraten.“
„Ich denke nicht, dass du das tun wirst. Wie du selbst sagst, wäre es sonst längst geschehen.“
„Oh, du kannst so überheblich sein!“ Sie kam auf die Füße, damit er nicht mehr ganz so groß und übermächtig wirkte.
„Na also, ich befürchtete schon, du könntest deine Krallen nicht mehr ausfahren.“
Sie ging auf seine Neckerei nicht ein. Sein Lächeln geriet schief, war lediglich ein Abklatsch seines üblichen provokanten Sarkasmus. Dicht trat sie vor ihn.
„Wo warst du?“, verlangte sie zu wissen.
„Wo ich war?“
Tief holte sie Luft. „Entschuldige, dass ich eine Frage an dich richte, die ansonsten niemand zu stellen wagt. Ninon erwähnte diese Schauspielerin und Kurtisane La Bouche. Hast du die letzten Nächte mit ihr verbracht?“
„Adrienne“, murmelte er.
Als er über sein Kinn rieb, knisterten die Bartstoppeln. Ein Anflug des ihr vertraut gewordenen Spotts blitzte in seinen hellen Augen auf. „Du musst eine sagenhafte Meinung von mir haben, wenn du glaubst, ich hätte die Energie aufgebracht, mich schnurstracks zu einer anderen Frau zu begeben.“
Endlich deutete er ihre gemeinsame Nacht wenigstens an, anstatt eine Decke des Schweigens darüber zu
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