Kuss der Sünde (German Edition)
er es ebenfalls genossen hat. Gemeinhin wird er einer Frau sehr viel schneller überdrüssig.“
„Überdruss!“ An so etwas hatte sie überhaupt nicht gedacht. „Meinen Sie, es könnte daran liegen? An meinem Mangel an Temperament vielleicht?“ Sie berührte ihr Haar. „Das wäre zu … schade.“
Unvermittelt lachte Ninon auf. „Also, einen Mangel an Temperament würde ich Ihnen nicht unterstellen.“
Das Gelächter beugte ihren Nacken. Wenn es kein Mangel war, dann eventuell zu viel davon. Ein Mann, der die berühmteste Kurtisane der Stadt aushielt, stand einer unerfahrenen Frau am Ende gleichgültig gegenüber und verbrachte seine Zeit lieber mit einer versierten Mätresse.
„Womöglich sollte ich Ihren Rat beherzigen und dieses Haus verlassen?“, fragte sie zaghaft.
Sobald sie es ausgesprochen hatte, verwarf sie diese Idee. Sie wollte bleiben. Am liebsten für den Rest ihres Lebens, so verrückt es auch erscheinen mochte. So impulsiv wie eine Fee, summte es in ihr.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, Mademoiselle, aber ich halte es für das einzig Richtige. Alles andere kann Ihnen großen Kummer bereiten. Sie und Olivier leben in unterschiedlichen Welten. Eine Nacht kann diese Kluft nicht überbrücken. Olivier weiß das. Wahrscheinlich ist er deshalb fortgegangen.“
Das irritierte Viviane nun doch. „Aber Ninon, wir alle leben in einer Welt. Niemand hat sein Schicksal selbst gewählt, geschweige denn die Umstände, unter denen er geboren wurde. Im Grunde sind wir uns doch alle ähnlich. In unseren Sehnsüchten und Ängsten.“
„Glauben Sie das wirklich, Mademoiselle?“
„Aber ja! Ich glaube immer an das, was ich sage.“
Lange wurde sie von Ninon gemustert. „Gilt das für jeden?“
„Es gilt für mich und für Sie und für den Bettler auf der Straße ebenso. Für jeden! Natürlich wird das von vielen vergessen. Ich gehöre nicht dazu“, schloss sie entschieden.
„Donnerwetter!“, entfuhr Ninon. „Ich habe schon viel gehört in meinem Leben, aber das ist ziemlich neu. Für mich gilt das also auch. Sozusagen sind wir alle gleich.“
Bekräftigend nickte Viviane. Ninon strahlte sie an, trat vor sie und umarmte sie. „Ob nun Olivier zum Abendessen kommt oder nicht, mir ist danach, den ganzen Tisch mit Rosen zu schmücken und ein Festmahl zu kochen. Was halten Sie davon?“
„Leider kann ich nicht kochen, aber ich werde mich um die Blumen kümmern. Eine wahre Flut von Rosen zur Feier des Tages“, stimmte sie zu und fühlte sich immerhin ein wenig getröstet von der Bewunderung, die Ninon ihr entgegenbrachte.
Mitten in der Nacht wurde Viviane von einer Berührung an der Schulter geweckt. Sie rieb sich noch den Schlaf aus den Augen, als Oliver ein halbes Dutzend Briefe auf ihre Knie legte. Ohne darauf zu achten, musterte sie ihn. Während sie ausreichend Ruhe gefunden und am Vorabend ein Menü aus fünf Gängen genossen hatte, schien er weder viel gegessen noch geschlafen zu haben. Rötliche Bartstoppeln auf Kinn und Wangen, zerknitterte Kleidung und ein nachlässig im Nacken gebundener Zopf machten ihn zu einem Vagabunden. In einer laxen Geste wies er auf ihre Knie.
„Das sind die echten Briefe. Sie gehören dir.“
Sein Tonfall war kühl, die Augen hell und geradezu lauernd. Nach einer ausgiebigen Unterhaltung mit Ninon hatte sie damit gerechnet. Gelassen schob sie ein weiteres dickes Kissen in ihren Rücken und lehnte sich hinein. „Du denkst, ich habe deswegen mit dir geschlafen?“
„Weshalb sonst? Du hast es immerhin zu Anfang in Erwägung gezogen und es selbst angedeutet.“
„Hm, von dieser Warte aus betrachtet klingt es logisch.“ Anstatt die Briefe an sich zu nehmen, faltete sie die Hände im Schoß.
„Du kannst damit nach Gutdünken verfahren“, sagte er und wollte hinausgehen.
„Einen Moment noch, Olivier.“
Zögernd drehte er sich um. In seinen grauen Augen stand keine Abwehr, sondern tiefe Erschöpfung, wie sie nun erkannte. Ihrem forschenden Blick ausweichend lehnte er sich an die Wand und verschränkte die Arme im Rücken.
„Mir blieb in den vergangenen Tagen genügend Zeit, diese Briefe zu suchen und an mich zu nehmen. Ebenso gut hätte ich gehen und mit der Polizei zurückkehren können. Ninon ist nicht sonderlich wachsam“, erläuterte sie und neigte den Kopf zur Seite. „Von dieser Warte aus ist deine Überlegung überhaupt nicht mehr logisch.“
Sein Kiefer spannte sich. Wortlos senkte er den Kopf.
„Du bist müde und solltest
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