Kuss der Sünde (German Edition)
ich im Gefängnis.“
Sie wollte das nicht hören. „Deine Vergangenheit kümmert mich nicht. Ich habe ein Bild deines Vaters draußen im Gang gesehen. Er hieß Antoine Favre, und Ninon sagte mir, dass er ein Fechtmeister war. Ihm gehörte eine florierende Fechtschule hier in Paris.“ Sie hob den Kopf und begegnete einem hell flackernden Blick. „Als sie es erzählte, erinnerte ich mich an ihn. Er kam zu uns ins Haus und unterrichtete meinen Vater mit dem Degen. Er sollte auch Justin unterrichten, doch dazu kam es nicht mehr.“
Seine Miene schien zu versteinern. „Weißt du auch, weshalb es dazu nicht mehr kam?“
Sie legte die Hand an seine Wange. „Er ist gestorben, hat Ninon gesagt. Er war krank und ist gestorben, aber du bist sein Sohn. Der Sohn von Antoine Favre. Du bist nicht nur ein Fälscher und Dieb. Du hast bei ihm Fechten gelernt. Er hat es dir beigebracht, nicht wahr?“
Sein Nicken ließ einen Damm brechen. Nichts konnte ihre Wortflut bremsen. Seit sie vor dem Bildnis von Antoine Favre gestanden hatte, musste sie immerzu daran denken.
„Hast du dir nie überlegt, in die Fußstapfen deines Vaters zu treten, eine eigene Fechtschule zu eröffnen und das, was er begonnen hat, fortzuführen? Mit diesem Können steht dir die Welt offen. Wir könnten ins Ausland gehen. Nach London oder Madrid, nach Wien und neu beginnen.“
Er bremste ihren Enthusiasmus, indem er einen Finger auf ihre Lippen legte. Seine Augen waren schmal, überschattet von rötlichen Wimpern mit dunklen Spitzen. „Du müsstest dafür alles zurücklassen.“
„Ich kann gut auf Schmuck, Seidenkleider und gesellschaftliche Anerkennung verzichten. Ein kleines Haus am Rande einer Stadt, vielleicht mit drei oder vier Zimmern und einem kleinen Garten, reichen mir völlig. Ich bin ganz sicher, dass meine Großmutter uns unterstützen würde. Sie lebt in der Bretagne. Sie könnte uns Geld vorstrecken. Für den Anfang.“
„Ich habe selbst genug Geld für einen Neuanfang.“
Die Düsternis wich aus seinen Augen, wurde verdrängt von einem Funkeln, das immer stärker wurde. Sie lächelte ihn an. Natürlich besaß er genügend Geld, denn in seinem Haus gab es alle Bequemlichkeiten. Seidentapeten, Bilder in vergoldeten Rahmen, Teppiche aus China, dem Orient und Aubusson. Seine Fälschungen hatten aus ihm einen reichen Mann gemacht. Und da das Kollier nicht gefunden worden war, fügte es sich in diesen Reichtum ein. Ein Kollier im Millionenwert. Zu gern hätte sie die Steine einmal gesehen und berührt. Olivier löste ihre Hand von seiner Wange und hielt sie fest.
„Trotz alledem, wie willst du es deinen Eltern erklären? Sie werden damit niemals einverstanden sein.“
Wieder huschte dieser unbekannte Kummer über seine Züge. Erst jetzt, da er sie erwähnte, dachte sie an ihre Eltern. Ihr Vater würde sich von der Enttäuschung erholen. Ihre Mutter hingegen wäre am Boden zerstört.
„Ich könnte ihnen einen Brief schreiben, sobald wir uns irgendwo niedergelassen haben. Dann wäre es für Einwände zu spät.“
Seine Miene wurde undurchdringlich. Sie wusste nicht, woran er dachte und fieberte einer Antwort entgegen. Er musste sich für sie entscheiden. Er musste ihr zustimmen.
„Es ist dir wirklich ernst“, stellte er in einem Tonfall fest, als stünde er vor einem Rätsel. „Weshalb? Aus welchem Grund willst du die Vorteile, die dir dein Name und deine Familie bieten, aufgeben?“
„Weshalb?“ Ihre Kehle wurde eng. Es gehörte sich nicht für eine Dame, sich durch Geständnisse preiszugeben. Andererseits wollte sie es unbedingt, und es wäre nichts anderes als die Wahrheit. „Weil ich dich selbstverständlich liebe, Olivier. Zudem glaube ich, es wäre das richtige Leben für mich. Frei von den Zwängen der Gesellschaft, in die ich hineingeboren wurde.“
Der Lohn für ihre Aufrichtigkeit bestand in einem forschenden Blick. Allmählich löste sich seine Anspannung. Hinter den markanten Zügen des Mannes, der er war, kam ein vorwitziger und erschrockener Junge zum Vorschein. Ihr Geständnis hatte ihn überrumpelt, obwohl es längst nicht alles war, was sie zu gestehen hatte. Tief holte sie Luft. Jetzt oder nie.
„Andererseits könntest du auch weitermachen wie bisher. Natürlich nicht in Paris, aber Fälschungen werden überall gebraucht und … und ich könnte dir helfen. Es gibt so viele, kostbare Schmuckstücke in dieser Welt. Eigentlich bräuchte es dazu nicht einmal Briefe, sondern ich könnte sie stehlen und du
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