Kuss der Sünde (German Edition)
breiten Strohhutes zu. Sie war ein wenig irritiert von der Hilfe. Vielleicht glaubte sie, das Körbchen sei für eine Dame zu schwer. Viviane lächelte.
„Wissen Sie“, hob die Haushälterin im Plauderton an. „Seine Abwesenheit ist für Sie eine gute Möglichkeit, zu verschwinden. Das Hoftor ist offen, und ich blicke in die andere Richtung und stelle mich dumm.“
„Tja“, meinte Viviane, nahm eine welke Blüte aus dem Korb und drückte sie an ihre Nase. Ninon ging zum nächsten Rosenbusch und entfernte welke Blüten. Viviane blieb an ihrer Seite. „Madame Ninon, haben Sie einige Erfahrung mit Männern?“
„Ob ich …?“, Ninon richtete sich auf und schob ihren Strohhut zurück. „Mademoiselle, ich habe mehr als einige Erfahrung. Weshalb fragen Sie?“
„Ach, nur so“, druckste sie herum und wechselte das Thema. „Ihr Haar, es ist nicht natürlich rot.“
„Es ist gefärbt“, gab Ninon freimütig zu. „Eine Kurtisane mit rotem Haar gilt als besonders leidenschaftlich und temperamentvoll. Obwohl ich dieses Metier hinter mir gelassen habe, ist die Gewohnheit, mein Haar zu färben, geblieben.“ Ninon wandte sich wieder ihren Rosen zu. „Zu meiner Zeit war ich beinahe so berühmt wie Adrienne La Bouche. Übrigens, sie ist die Mätresse von Olivier.“
Das war ein herber Schlag. Gleichwohl keine Überraschung. Viviane behielt ihr Lächeln bei. Nahezu jeder Mann besaß eine Mätresse, vor allem, wenn er so aussah wie Olivier. „Ich verstehe. Etwas Ähnliches habe ich mir bereits gedacht.“
Seite an Seite schoben sie sich zum nächsten Rosenbusch vor. Nachdem Ninons kurze Provokation nichts gefruchtet hatte, hüllte sie sich in Schweigen. Wenn sie etwas von ihr erfahren wollte, durfte sie sich nicht auf Andeutungen beschränken. Die Frau hatte das Leben einer Kurtisane geführt, und wenn sie mit ihr nicht offen sprechen konnte, mit wem dann? Ninon konnte Oliviers Verhalten beurteilen.
„Ich glaube … also, ich vermute … kann es sein, dass ich Monsieur Favre enttäuscht habe?“
Ninon ließ die Gartenschere sinken und drückte sich die Hand ins Kreuz. Da die Sonne in ihre Augen fiel, kniff sie sie zusammen. Jedenfalls hoffte Viviane, dass es an der Sonne lag und nicht an ihr. „Wodurch, Mademoiselle?“
„Das ist eine gute Frage.“
Die Ältere streifte den Gartenhandschuh ab, warf ihn in den Weidenkorb und nahm ihn Viviane aus der Hand. Freundschaftlich hakte sie sich bei ihr unter und führte sie zum Haus zurück. Durch die Flügeltüren traten sie in die schattige Kühle des Salons.
„Fangen wir bei der Frage an, ob es Ihnen gefiel, Mademoiselle. Dieser Anfang ist so gut wie jeder andere.“
Sie fühlte sich durchschaut. Hier begegnete sie dem Verständnis einer reifen Frau, die keine Urteile fällte und alles Wissenswerte in sich trug. Ihr Blickwechsel führte zu einem uneingeschränkten Eingeständnis.
„Es war einfach unvorstellbar … schön.“ Sie holte tief Luft. „Ach, ich finde einfach nicht die richtigen Worte. Und doch könnte es sein, dass er darüber anderer Ansicht ist. Vielleicht ist das genaue Gegenteil der Fall, und er hält es für falsch.“
„Falls Sie auf moralische Bedenken anspielen, kann ich versichern, dass diese ihm fremd sind.“
Wieder einmal fühlte sich Viviane ertappt, da sie den moralischen Aspekt, der sich mit dem Recht oder Unrecht ihrer süßen Niederlage befasste, außer Acht gelassen hatte. Halbherzig versuchte sie, dieses Versäumnis nachzuholen.
„Selbstverständlich sind Moral und Anstand immens wichtig. Wirklich, wenn sich jemand darauf versteht, das zu beurteilen, so bin ich das. Allerdings gebe ich zu, dass ich mich damit noch nicht näher befasst habe. Was Olivier betrifft, meine ich. Vielmehr …“
Sie geriet zunehmend ins Schleudern und verstummte mitten im Satz. Da von Moral die Rede war, verbot es sich ganz von selbst, unerhört offene Fragen zu stellen und sein Verhalten mit seiner Haushälterin zu erörtern.
„Es geht Ihnen weniger um Ihr eigenes Befinden, sondern um seines. Verstehe. Wenn ich fragen darf, geschah es mehr als ein Mal?“
Peinlich berührt zog Viviane die Unterlippe zwischen die Zähne und nickte. Sie brachte es nicht über sich, einzugestehen, dass es ganze fünf Mal geschehen war. Obwohl es bereits zwei Nächte zurücklag, bildete sie sich noch immer ein, ihn zwischen ihren Schenkeln zu spüren. Vor allem dann, wenn sie an ihn dachte und somit die meiste Zeit.
„Nun, dann besteht kein Zweifel, dass
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