Kuss der Sünde (German Edition)
ungeduldig.“
Die gut gemeinte Jovialität des Priesters war enervierend. Diese Unterredung wurde immer lächerlicher. Am liebsten hätte er den Mann an der Kutte gepackt und wild herumgeschüttelt.
„Mein Argwohn mag ungerechtfertigt sein, mein Sohn. Ich habe jedoch den Eindruck, die Heimlichkeit und Eile, die sich hier abzeichnet, könnte etwas damit zu tun haben, dass Ihre Eltern oder die Ihrer Braut oder gar beide Seiten eine Heirat missbilligen würden.“
„So ist es, in der Tat“, entschloss sich Olivier für die Wahrheit, nur um sie mit einem neuen Lügengespinst zu umweben. „Meine Braut lebte viele Jahre in einem Orden der Benediktinerinnen. Ihre Eltern verwehrten es ihr, den Schleier zu nehmen. Sie wollten, dass sie heiratet. Einen Mann, der ihnen nützlich sein kann und ihren eigenen Einfluss wie ihr Vermögen mehrt.“
Der Priester war gutgläubig genug, um blass zu werden. Er bekreuzigte sich. „Niedere Beweggründe, wohin man schaut, und vor nichts machen sie Halt. Verstehe ich recht, mein Sohn, dass Sie nicht der Mann sind, um den es geht?“
„Ich bin der Mann, auf den ihre Wahl fiel“, sagte Olivier etwas zu theatralisch, was der Priester nicht bemerkte. „Ich werde sie vor einer lieblosen Ehe bewahren, indem ich sie zu meiner Frau mache und den Plänen ihrer Eltern zuvorkomme. Eile tut Not, und um Ihnen diesen ungewöhnlichen Dienst zu vergelten habe ich …“
Er griff in die Tasche seines Gehrocks, um den Geldbeutel hervorzuholen. Ungeachtet eines bevorstehenden Geldsegens sank der Priester in eine der Kirchenbänke und beschattete die Augen mit der Hand. Auf seiner ausrasierten Tonsur standen Schweißperlen. Olivier fragte sich, was er nun schon wieder Falsches gesagt haben mochte.
„Was ich da hören muss, mein Sohn, erschüttert mich zutiefst“, schnaufte der kleine Mann. „Sie war eine Braut Christi. Nicht einmal ihren Eltern sollte es erlaubt sein, dem Willen des Herrn entgegenzuwirken und das arme Kind in die Welt hinauszuschleudern. Bloße Geldgier treibt allenthalben die Menschen unserer Zeit an, und Gier ist eine Todsünde, mein Sohn. Eine Todsünde!“
Hastig verbarg Olivier den Geldbeutel in seinem Rücken und nickte zu allem, was der Priester schwafelte. Die fleischige Hand des Geistlichen wischte über die Tonsur. Danach versank er in die Betrachtung seiner feuchten Handfläche.
„Alle Welt kehrt sich vom Glauben ab und wendet sich der Wissenschaft zu. Sie lesen in den Büchern Voltaires und Rousseaus, anstatt sich auf die Worte der Heiligen Schrift zu besinnen. D’Alembert und Diderot und ihre Enzyklopädie … haben Sie davon gehört, mein Sohn?“, ächzte der Priester und verzog das Gesicht.
Olivier nickte. Der Mann sah derart betrübt aus, dass er nicht zugeben wollte, alle Bände dieser Enzyklopädie, die er für ein großartiges Werk hielt, in seiner Bibliothek zu haben.
„Warum bildet sich jeder ein, er müsse nur ausreichend Wissen ansammeln und alles zum Forschungsobjekt degradieren, um die Geheimnisse des Lebens ergründen zu können? Darüber wird die ewige Wahrheit vergessen. Was hilft dem Menschen alles Wissen, wenn er darüber seine unsterbliche Seele vergisst?“
Da er dies für eine rein rhetorische Frage hielt, versagte er sich einen Kommentar. Schwer seufzte der Priester und wischte sich die Hand an seiner rauen Kutte ab.
„Die Welt, die wir kennen, geht allmählich zugrunde, und dies ist erst der Anfang, mein Sohn. Gott allein weiß, wohin das führen wird. All diese neuen Ideen. Wer soll sich da noch auskennen? Nun ist es schon so weit, dass junge Menschen sich ohne das Einverständnis ihrer Eltern vermählen müssen, um ein gottesfürchtiges Leben führen zu dürfen.“
Auch hier widersprach er nicht. Wieder bekreuzigte sich der Priester und faltete die Hände zum Gebet. Respektvoll neigte Olivier den Kopf. Während der Mann betete, fragte er sich erneut, was er hier zu suchen hatte, in dieser Kirche fernab der Welt, die er kannte. Durch die dicken Mauern drang kein Geräusch von außen. In dem trübe werdenden Licht nahmen die Schatten monströse Formen an.
„Werden Sie uns trauen, Pater?“, fragte er, nachdem die Versunkenheit des Geistlichen ihn auf eine harte Probe stellte. Er wollte fort aus diesem stickigen Kirchenbau mit seiner niedrigen Holzdecke und den engen Mauern, die ihm die Luft nahmen.
Das Gesicht des Priesters glänzte vor Eifer. „Natürlich, mein Sohn. Den Anfängen muss gewehrt werden. Das ist meine
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