Kuss der Sünde (German Edition)
sie es auch nicht sein, nachdem sie Nächte und Tage zwischen den Bettfedern herumtobten und alles andere darüber vergaßen. „Wir sollen was sein?“, stieß sie aus, obwohl sie es verstanden hatte.
„Ihr sollt unsere Trauzeugen sein, Lazare und du.“
Sie presste die Hand an die Stirn. Olivier saß ihr am Frühstückstisch gegenüber und beobachtete sie mit zunehmender Ungeduld. Es war die erste Woche im September, und die Luft hatte sich abgekühlt. Davon war hinter den geschlossenen Fenstern nichts zu spüren, durch die Sonnenlicht auf das Porzellan und die silberne Zuckerschale fiel. Unter den Strahlen der Septembersonne flammten in seinem Zopf tiefrote Strähnen auf. Seine schmalen Augen sprachen von einer Entschlossenheit, die Ninon nur zu gut kannte. Jeden Einspruch würde er abschmettern. Nichts konnte ihn umstimmen.
Sie ließ von ihrer Stirn ab und bemühte sich um Ruhe. „Das kann nicht dein Ernst sein. Ihr habt euch in den letzten Tagen nur mit euch selbst beschäftigt, und dadurch ist die Welt in den Hintergrund gerückt. Eine Welt, die noch immer vorhanden ist und vorhanden sein wird. Möglicherweise weiß sie nicht, wie es darin zugeht. Für dich jedoch kann es nicht als Entschuldigung gelten. Euer Vorhaben ist Aberwitz.“
Weder ließ sie sich von seiner knappen Handbewegung noch von dem unwirschen Knurren aus seiner Kehle unterbrechen. Schlaff sanken ihre Hände neben dem Teller auf die Tischplatte.
„Du bist auf dem besten Weg, nicht nur dich, sondern auch sie ins Unglück zu stürzen. Vor allem sie. Was immer die Pompinelles getan haben, dein Verhalten lässt sich nicht rechtfertigen. Willst du diese Frau deiner Rache opfern und ihr das Herz brechen, oder was treibt dich an?“
„Wer redet von Rache? Ich habe kein Wort über Vergeltung verloren.“
Die Geschwindigkeit, in der sein Zorn hochkochte, war erschreckend. Ninon hatte es mit Erleichterung erfüllt, dass er kaum noch Alkohol trank. Ein Glas Wein, gelegentlich auch zwei zum Abendessen, und von scharfen Spirituosen ließ er die Finger. Nun musste sie zugeben, dass der Alkohol sein Temperament gezügelt hatte. Ohne ihn mangelte es Olivier an Selbstbeherrschung und alles drohte aus den Fugen zu geraten.
„Liebst du sie?“, fragte sie herausfordernd.
Gereizt erwiderte er ihren Blick über den Honigtopf und das Milchkännchen hinweg. Sie presste die Lippen aufeinander.
„Ja, du liebst sie“, beantwortete sie sich ihre Frage selbst. „Donnerwetter, ist dir überhaupt bewusst, was du ihr damit antust? Sie gehört nicht hierher. Sie kommt aus einer völlig anders gearteten Welt, ganz zu schweigen von ihrer Familie. Hast du vergessen, wozu sie in der Lage sind? Hast du etwa Marianne de Pompinelle vergessen? Diese Frau wird …“
„Ich habe sie nicht vergessen“, fiel er ihr schneidend ins Wort. „Jedes Mal, wenn ich in ihr Gesicht sehe, sehe ich ihre Mutter vor mir. Ist es das, was du hören willst? All deine Fragen habe ich mir selbst gestellt und beantwortet, Ninon.“
Stumm stierte sie ihn an. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Er hatte es schon immer vorgezogen, am Rande eines Abgrunds entlangzubalancieren. Kein Wagnis war ihm zu groß. Diesmal allerdings ging es nicht um ihn. Es ging um eine junge Frau, die Ninon lieb gewonnen hatte. Eine Frau mit absonderlichen und durchweg einnehmenden Ansichten, getrieben von grenzenloser Impulsivität. „Mademoiselle Viviane ist eine bemerkenswerte Person. Dennoch, Olivier, sie ist schnell zu entfachen und sich der Folgen ihres Handelns nicht bewusst. Sie stürzt sich kopfüber in ihre Überzeugungen und hat nicht die geringste Ahnung, worauf sie sich einlässt.“
„Entschuldige bitte, aber ich bin weder ein Mörder noch ein Ungeheuer“, stellte Olivier leise und scharf klar.
Schweigend maßen sie einander ab. Sie fühlte sich verpflichtet, ihm all das vor Augen zu führen, was er im Augenblick nicht sehen wollte. Es bereitete körperliche Schmerzen, ein anhaltendes Stechen in der Brust, das sie nicht abhielt, zu sagen, was sie sagen musste. „Du bist ein Krimineller. Du hast Menschen mit deinen Fälschungen ruiniert, bist sogar in Häuser eingebrochen. Jahrelang hast du gesoffen wie ein Loch und nahezu jede Nacht in irgendwelchen Etablissements herumgehurt. Hast du ihr davon erzählt, von den vergangenen elf Jahren und dem Leben, das du geführt hast? Oder willst du ihr das verheimlichen, bis sie eines Tages selbst und auf Umwegen davon erfährt? Olivier, du wirst
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