Kuss der Sünde (German Edition)
Aufgabe.“
Ohne ein weiteres Wort des Dankes legte Olivier den Geldbeutel neben dem Priester auf die Sitzbank. Dieser wirkte bass erstaunt über das schwere Klirren, mit dem der Beutel auf dem Holz landete. Der Priester nickte ihm zu.
„Gesegnet sollen Sie und Ihre Braut sein. Mit diesem Geld kann ich viel Gutes in meiner kleinen Gemeinde bewirken. Schon morgen kann die Trauung stattfinden, ohne Formalitäten.“
„Wir werden da sein.“
Obwohl er liebend gern schneller gelaufen wäre, durchquerte Olivier langsam die Kirche und trat vor die Tür. Staub wirbelte durch die Luft. Im Westen zogen Wolken auf. Er schwang sich in den Sattel und trieb sein Pferd in einen schnellen Trab. Ehe das Unwetter losbrach, wollte er zu Hause sein und Viviane von der Begegnung mit diesem sehr schlichten Mann berichten, der die Welt nicht mehr verstand. Bestimmt würde sie dazu etwas zu sagen haben. Bei der Vorstellung, was es sein könnte, hob sich seine Stimmung. Die Vögel in den Bäumen schwiegen. Der Staub der Straße flog in Wirbeln vor den Hufen seines Pferdes auf, und der Spätsommertag wurde zu einem farblosen, gelblichen Flirren. Ein Donnergrollen in der Ferne ließ ihn angaloppieren und mitten hineinreiten in das Unwetter, das sich über Paris zusammenbraute.
Eine Fremde bog um die Hausecke und steuerte über den Rasen auf Viviane zu. Von ihrem grellgrünen Kleid über die falschen Schmuckstücke an Hals und Armen bis hin zu der mit bunten Federn verzierten Lockenperücke strahlte sie das Flair der Pariser Theaterbühnen aus. Trotz des zweifelhaften Rufs dieser Frauen legte Viviane ihr Buch beiseite und erhob sich von der Gartenbank. Da Ninon sich seit dem Frühstück in ihrem Zimmer verschanzte, blieb es an ihr, den unerwarteten Gast willkommen zu heißen.
„Guten Tag.“
„Tach auch. Is Olivier da? Ich hab ne Nachricht für ihn“, lispelte die Fremde, ohne sich vorzustellen und beäugte sie neugierig.
„Nein, er ist abwesend. Ninon ruht auf ihrem Zimmer, ich störe sie ungern.“
„Sie sin ne feine Dame, was? Wie die andere. Da kann ich auch Ihnen die Note für Olivier geben. Die andere hat gesacht, es is dringend. Wirklich wichtig un so. Hier – ich muss wieder los.“
Damit drückte sie Viviane ein gefaltetes Billet in die Hand, machte auf dem Absatz kehrt und ging durch den Garten davon. An den Rosenstöcken blieb sie stehen, pflückte eine Blüte und steckte sie sich ins Dekolleté. Viviane sah ihr nach, bis sie um die Hausecke gebogen war, ehe sie das Billet in den Fingern wendete. Teures Papier, nur ein Mal gefaltet. Die Frage, wer die andere sein mochte, stellte sich gleichzeitig mit der Bewegung ihres Daumens ein, der das Billet aufklappte. Sie kannte die Handschrift. Insbesondere die Kringel über dem i waren ihr vertraut. Es fehlte das obligatorische Blümchen neben der Unterschrift, vermutlich, da die Nachricht zu ernst war, um Verzierungen zu rechtfertigen. Die wenigen Zeilen entzogen sich dem Zugriff ihres Verstandes. Mehrmals überflog sie sie, formte Wort für Wort mit den Lippen, bis ihr Verstand endlich bereit war, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen.
Ich brauche dringend deine Hilfe. Du musst sofort kommen, denn ich erwarte ein Kind und weiß nicht, was ich tun soll! - Juliette
„Juliette“, wiederholte Viviane benommen.
Ihre Schwester war schwanger, und wen sollte sie um Hilfe bitten, wenn nicht den Vater des Kindes? Olivier. Wie konnte das sein? Prompt erinnerte sie sich an jenen Tag, an dem Pauline weinend zu ihr kam, weil angeblich ein Mann aus dem Fenster von Juliette geklettert war. In ihrer Aufregung und ihrer Zuneigung zu ihrem ehemaligen Tanzmeister hatte Pauline ihn mit Alain Duprey verwechselt, obwohl es keine Ähnlichkeit gab. Es musste Olivier gewesen sein. Weshalb sonst sollte sich Juliette ihm anvertrauen? Ihre Schwester und er, ein heimliches Liebespaar seit Monaten.
„Mein Gott.“
Sie ballte die Faust um das Billet und drückte sie an die Brust. Ein Stechen setzte ein, zog von der Herzgegend bis zum Rücken und drückte ihr die Kehle zu. Aus einem anfänglichen Frösteln wurde alles umfassende Kälte, während sie das Haus betrat. Die Stufen nach oben wurden zu einem schier unüberwindlichen Hindernis, als würden Eisenfesseln um ihre Fußknöchel liegen und jeden Schritt erschweren. Sie musste sich am Treppengeländer einhalten, da sich alles um sie zu drehen begann. Im Schlafzimmer sah sie sich um. Auf einem Kissen war noch der Abdruck seines Kopfes
Weitere Kostenlose Bücher