Kuss der Sünde (German Edition)
Gewissensbisse stiehlt, was ihr zwischen die Finger gerät, und ihn noch vor der Hochzeit betrogen hat.“
Jäh schlang Marianne die Arme um sich. „Das würdest du nicht wagen.“
„Ich würde und ich werde, sollten Sie mir keine andere Wahl lassen.“
Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass sie ihrer letzten Illusionen beraubt wurde. Die Illusionen eines kleinen Mädchens, das in seiner überirdisch schönen Mutter die wohlriechende, in ihren Juwelen glitzernde Märchenfee gesehen hatte. Viviane hatte sie lange Zeit bewundert, diese Frau, die nun irritiert mit ihren langen, hellen Wimpern klimperte. Bevor sie ihre Geistesgegenwart zurückerlangte, verließ Viviane das Boudoir und ging auf ihr Mädchenzimmer.
Endlich war sie sich selbst überlassen, hinter den Vorhängen eines Bettes, das sich als hart und ungemütlich und abweisend herausstellte. Der Baldachin schwebte nahezu feindlich niedrig über ihrem Kopf, als wollte er sie erdrücken, sobald sie die Augen schloss. Sie stand wieder auf, öffnete das Fenster und stieß die Fensterläden auf. Feuchte Luft strömte in das Zimmer und mit ihr der schwere Atem nasser Erde. Erst jetzt fand sie die Zeit, das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen. Ihre Mutter, Olivier und Juliette kamen ihr vor wie die Darsteller in einem Ränkespiel, in das sie sich verstrickt hatte. Das war natürlich albern. Es gab keine Intrige, deren Opfer sie war. Sie war das Opfer ihrer selbst geworden, ihres vorpreschenden Willens, den noch niemand hatte bremsen können.
Was jedoch wahrhaft existierte, war die Affäre zwischen Olivier und Juliette, die begonnen haben musste, noch ehe Viviane ihm begegnet war. Wo mochten sie sich kennengelernt haben? Für sie stand fest, dass ihre Schwester seinem unterkühlten Charme erlegen war. Juliette hatte eine Bresche in seine Distanziertheit schlagen wollen, und das einzig Erstaunliche war, dass es ihr irgendwie gelungen sein musste.
Bei ihrem Eintreffen hatte die jüngere Schwester am oberen Treppenabsatz gestanden. Ein etwas zu blasses Mädchen in einem himmelblauen Kleid, dessen Gesicht schmaler war, als Viviane es in Erinnerung hatte. Sie war nicht näher gekommen, hatte ihre Schwester nicht überschwänglich umarmt, wie es Pauline getan hatte. Sie war einfach wieder gegangen, und seitdem hatte Viviane sie nicht mehr gesehen. Nicht, dass sie sie sehen wollte. Erst recht würde sie es nicht über sich bringen und mit ihrer Schwester über Olivier sprechen.
Allein ihre Gegenwart hatte sie schmerzlich an ihn erinnert und an die Dinge, die sie getan hatten in seinem Schlafzimmer, in seinem Arbeitszimmer und einmal sogar im Garten, umgeben von nächtlichen Blütendüften. Dinge, die Juliette ebenfalls mit ihm erlebt hatte. Sie war mit der Berührung seiner Hände vertraut, kannte die Schwielen an den Fingern, in denen er die Feder hielt. Sie hatte vor Viviane gewusst, wie glatt und warm seine Haut war. Hatte die Arme um ihn gelegt, das Spiel seiner Muskeln und die zunehmende Anspannung seines Körpers kurz vor dem Höhepunkt gespürt. Sie kannte das alles.
Sie trank einen Schluck Wasser, um den widerwärtigen Geschmack von Galle aus ihrem Mund zu vertreiben. Juliette und Olivier, und nun erwartete ihre Schwester sein Kind. Was würde er unternehmen? Würde er überhaupt etwas unternehmen oder untätig bleiben? So, wie er tatenlos zugelassen hatte, dass sie ihn verließ. Von ihrem Fenster aus konnte sie das Hoftor sehen. Lange stand sie da und behielt es im Auge. Aus dem strömenden Regen schälte sich kein Reiter heraus, und bald war es zu dunkel, um überhaupt etwas zu erkennen. Sie gab es auf und legte sich zu Bett.
Olivier würde nicht kommen. Weder zu Juliette noch zu ihr. Er war ein Fälscher, der geborene Betrüger, ein Gaukler, der die Arme ausgebreitet hatte, damit Juliette und sie hineintaumelten, so wie Motten in eine Flamme stürzten. Schon wieder näherte sie sich der Vorstellung einer Verschwörung und verdrängte sie umgehend. Es gab keine Verschwörung und keine Intrige. Es gab nur einen gut aussehenden Mann, der sich mit zwei Schwestern einen bösen Scherz erlaubt hatte. Er selbst würde es anders nennen. Für ihn wäre es ein grandioser Witz.
Sie ballte die Fäuste und presste sie gegen die Augen. Auf keinen Fall durfte sie weinen. Gegen ihren Willen quetschten sich Tränen unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Eine nach der anderen kullerten sie über ihre Schläfen und versickerten in ihrem Haar. Stumm ließ sie die Tränen
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