Kuss der Sünde (German Edition)
eine Strategie beratschlagten, die es ihnen erlaubte, sich den beiden jungen Damen wieder zu nähern. Juliette ließ sich nicht abweisen. Einmal davon angefangen, wollte sie ihrer großen Schwester das Erlebnis des Nachmittags unbedingt unter die Nase reiben.
„Ich habe heute einen Mann geküsst.“
Mit dieser Aussage ergatterte sie Vivianes Aufmerksamkeit.
Glücklich kicherte sie. „Keinen albernen Jüngling“, betonte sie, mit einem Seitenblick zu den jungen Herren, „sondern einen richtigen, echten Mann habe ich geküsst. Er war mindestens zehn Jahre älter als ich.“
Das plötzliche Vertrauen, das Juliette an den Tag legte, erstaunte sie, doch ehe sie einen Rat geben konnte, der ihre Schwester auf den rechten Weg zurückführen konnte, mischte sich Pauline ein. Sie lehnte sich über die Rückenlehne des Zweisitzers und schob ihren Kopf zwischen die beiden Schwestern.
„Pah, das glaubt dir sowieso niemand.“
Juliette fuhr aufgebracht herum. „Mit dir hat auch niemand geredet, du Gans!“
„Ich kann es ja Maman erzählen. Sie redet bestimmt gern darüber“, konterte Pauline.
Juliette drehte ihr ignorant den Rücken zu, und Viviane sah sich dazu berufen, Frieden zu stiften.
„Es gehört sich nicht, die eigene Schwester zu verpetzen, Pauline.“
Das helle Auflachen des Nesthäkchens schürte Juliettes Unmut. „Auf jeden Fall werde ich ihn wiedersehen. Er hat es mir geschworen.“
„Ach ja? Warum ist er dann nicht unser Gast heute Abend? Er könnte sich Papa vorstellen, wie es sich gehört, oder war’s ein Fuhrkutscher? So einer kommt natürlich nur durch die Hintertür ins Haus“, stichelte Pauline.
„Ha, ein Fuhrkutscher wird dir einmal bleiben bei deinen groben Knochen. Er kann dich anstelle seines Gauls vor seinen Karren spannen“, giftete Juliette zurück.
Das Wortgefecht drohte auszuarten. Viviane straffte sich und sah mahnend von einer zur anderen. „Ich mag keinen Zank. Wir sind Schwestern. Wir sollten uns vertragen.“
So uneinig sich die beiden waren, es herrschte insoweit Einigkeit, dass sie den Einwurf ignorierten.
„Du hast das nur erfunden, um dich wichtig zu machen“, setzte Pauline erneut den Hebel an. „Wie soll er denn überhaupt heißen dieser Mann?“
„Das sage ich dir gerade, du kleine Petze!“
Darauf folgte dumpfes Schweigen, das Viviane nutzte, um Vernunftgründe anzubringen, die ihrer Ansicht nach in diesem Wortgefecht zu kurz gekommen waren. Schließlich besaß sie einige Erfahrung darin, wozu ein Kuss führen konnte. „Es ist ungehörig, sich von fremden Männern küssen zu lassen, Juliette. Deine Tugend ist das höchste Gut, dein einzig wahrer Schatz, du solltest sie niemals geringschätzen, geschweige denn, es einem anderen erlauben.“
Vivianes Belehrungen führten lediglich dazu, dass Juliette ihre schweren Geschütze gegen sie richtete. Unweigerlich fragte sie sich, ob ihre Schwester dieses Gespräch begonnen hatte, um einen Streit heraufzubeschwören. Es war ihr ohne Weiteres zuzutrauen. Die anwesenden Gäste störten sie dabei nicht.
„Du redest nur von Tugend, weil du den fetten Casserolles heiraten sollst und neidisch bist. Mit einem solchen Galan an der Hand würde ich auch von Sittsamkeit faseln. Mein Verehrer jedoch ist ein himmlisch gut aussehender Mann. Er liebt mich, und hat geschworen, dass er mich überall finden wird, ganz gleich, wo ich bin.“
Pauline drückte glucksend ihre Nase gegen das Rückenpolster. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Mutter sie entdeckte. Bereits vor einer halben Stunde hatte sie Pauline zu Bett geschickt.
„Das behaupten nun wirklich alle“, spottete sie. „In jedem Ritterroman sind solche Versprechen zu finden. So ein Unfug.“
„Halt den Mund, oder ich sage Maman, dass du heimlich ihre Bücher liest“, drohte Juliette.
„Unfug. Unfug. Unfug.“
Die Situation drohte zu eskalieren, als Pauline die Zunge herausstreckte und Juliette daraufhin ausholte, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Es wäre nicht die erste gewesen. Viviane sah es schon kommen, dass die beiden sich vor versammelter Gesellschaft an den Haaren zerrten. Pauline wurde von Mutter gerettet, die ihre Stimme vernommen hatte und den Kopf reckte.
„Pauline, Liebes, ich habe dich gebeten, dich zur Ruhe zu begeben“, säuselte sie. „Du brauchst deinen Schlaf. Er ist gut für das Wachstum.“
Pauline erhob sich aus ihrer hockenden Haltung hinter dem Zweisitzer, wo sie vor Entdeckung sicher gewesen war. Artig knickste sie.
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