Kuss der Sünde (German Edition)
Wo er ihre Haut berührte, überzog sie sich mit einem rosigen Hauch.
„Monsieur, was … was machen Sie?“
„Ich verglühe“, raunte er, beugte sich vor und verharrte dicht vor ihren Lippen.
Mit einem Seufzen schloss sie die Augen und streckte den Kopf vor. Ihre Lippen trafen sich. Er verzichtete darauf, die Zunge einzusetzen. Junge Mädchen träumten von Romantik und liebten zarte, keusche Küsse. Sie sank gegen ihn und krallte sich in das Revers seines Gehrocks. Ihre Lippen bewiesen ihren Mangel an Erfahrung und gleichzeitig den Wunsch, daran etwas zu ändern. Sacht streichelte er mit dem Daumen über ihren Hals, hinab zur Beuge, hinauf zum Ohr. Es brachte sie vollständig aus der Fassung. Sie knickte in den Knien ein und wäre zu Boden gesunken, wenn er nicht den Arm um ihre Taille geschlungen hätte.
„Sie sind der Ruin eines jeden Mannes“, murmelte er an ihrem Mund.
Ihre Aufregung führte sie an den Rand einer Ohnmacht. Ihr Atem kam viel zu schnell. Langsam löste er sich von ihr. Ihre geröteten Wangen begannen unter seiner Musterung tiefrot zu brennen. Unerwartet für ihn selbst schämte er sich seines Überfalls. Am Todestag seines Vaters war sie ein Kind von sieben Jahren gewesen. Sie trug keinerlei Schuld an den Bosheiten ihrer Mutter. In jenem seltenen Moment, da er ein Gewissen verspürte, das ihm riet, den Rückzug anzutreten und es auf sich beruhen zu lassen, drückte sie ihre Wange an seinen Brustkorb.
„Monsieur Brionne! Sehen wir uns wieder? Bitte, sagen Sie ja“, sprudelte es aus ihr heraus.
Wozu brauchte er ein Gewissen? Wie sie selbst sagte, kam sie nach ihrer Mutter. Schamlos und versessen darauf, ihre Tugend zu verlieren. „Wie sollte ich nur einen Tag ohne die Gewissheit ertragen, Sie wiederzusehen, Juliette?“, flüsterte er und schob sie gleichzeitig von sich. „Hier und jetzt müssen wir uns jedoch trennen, bevor Ihre Abwesenheit auffällt und zu Gerede führt.“
„Küssen Sie mich noch einmal. Schwören Sie mir, dass wir uns bald wiedersehen. Sagen Sie noch etwas Wundervolles!“, forderte sie ihn auf.
So viele Wünsche. Nun, sie war eben noch sehr jung. „Sie bringen mich um den Verstand, Juliette. Ich werde nicht schlafen können, bis wir uns wieder begegnen“, antwortete er und setzte seinen Worten einen weiteren Kuss hinzu, der sie vollends überzeugen sollte. „Gehen Sie nun.“
Er schob sie in Richtung der Wege, die zum Haus zurückführen.
„Wie wollen Sie mich finden?“, fragte sie und konnte sich noch immer nicht trennen.
Er küsste ihre Hand. „Ich werde Sie überall finden, wo immer Sie auch sind.“
Endlich huschte sie davon, mit einem seligen Ausdruck im Gesicht, der sich hoffentlich legen würde, ehe sie zurück zu den Gästen in den Salon trat. Olivier zog seinen Zopf straff. Kaum ließ er die Hände sinken, scheuchte ihn eine andere Stimme auf.
„Olivier? Wo bist du?“
Die Stimme der de La Motte trieb ihn in die Flucht. Sie war die Letzte, auf die er im Moment erpicht war. Ein Schmierenstück am Tag reichte aus. Dicht an der Mauer und hinter Büschen verborgen schlich er zum Tor. Die Stimme der falschen Comtesse verklang im Garten. Ungesehen erreichte er die Straße und eilte mit großen Schritten davon. In ihm nahm ein Plan Gestalt an, der keinen Raum für weitere Gewissensbisse ließ.
Viviane benötigte keine Gabe, um zu wissen, dass etwas Gravierendes vorgefallen sein musste.
Seit einer geschlagenen Stunde saß Juliette an ihrer Seite. Mit einigen patzigen Äußerungen hatte sie drei junge Herren vertrieben, die sich um sie geschart hatten. Wenn sie sich ausgerechnet diesen Abend dazu ausersehen hatte, ihre schwesterliche Zuneigung zu zeigen, hatte sie den falschen Zeitpunkt gewählt. Vivianes Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt, was an der blonden Echthaarperücke lag, die ihre Mutter ihr aufgedrängt hatte. Dieses Ungetüm, das die Ähnlichkeit zur Marquise unterstreichen sollte, verursachte ein unangenehmes Kribbeln auf ihrer Kopfhaut. Unweigerlich stellte sich die Vorstellung eines Ameisenstaates ein, in dem alles durcheinanderwuselte.
Nachdem Juliettes Seufzer und eindringliche Blicke an ihr abgeprallt waren, räusperte sich ihre Schwester leise, beugte sich zu ihr und wisperte in ihr Ohr.
„Da ahnst nicht, was ich heute erlebt habe.“
„Jedem sollte erlaubt sein, ein Geheimnis für sich zu behalten“, erwiderte sie ebenso leise und drehte den Kopf zu den drei jungen Galanen, die an den offenen Flügeltüren
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