Kuss der Sünde (German Edition)
rechtschaffenen und dazu noch attraktiven Bürger. Geradezu genial.
Ein leises Geräusch riss sie aus der Begutachtung der Dokumente. Sie wirbelte so schnell herum, dass ihre Hand beinahe den Kerzenleuchter umwarf. Hastig stabilisierte sie ihn. Die kleine Flamme zuckte, knisterte und brannte ruhig weiter. Beim Eintreten hatte sie den Alkoven direkt hinter der Tür übersehen. Die Finger um das Silber geklammert starrte sie auf die Ottomane, die darin stand. Lang ausgestreckt lag er darauf und schlief. Jeden Moment konnte er erwachen und sie entdecken. Sie sollte schleunigst zurück auf ihr Zimmer gehen und auf eine bessere Gelegenheit warten.
Mit den Fingerspitzen berührte sie ihre Lippen und vergaß jede Vernunft. Sie brannten seltsamerweise noch Tage später von seinem Kuss. Auf Zehenspitzen schlich sie vor die Ottomane und sah auf ihn hinab. Männer seines Schlages trugen keine Nachthemden. Ein dünnes Laken knüllte um seine Hüften. Seine Brust war glatt und muskulös, beinahe wie die der Statuen in den öffentlichen Gärten. Helle Haut spannte sich über straffes Fleisch und Rippenbogen, die sich kaum sichtbar darunter abzeichneten. Irritiert blickte sie auf ihre Hand. Sie schwebte über seinem Brustkorb. Sie konnte doch keinen fremden und dazu noch nackten Mann anfassen. Noch während sie die Hand zurückzog, versank sie in der Betrachtung seines Bauchnabels. Eine Vertiefung von der Größe eines Kirschkerns, die in einer reliefartigen Bauchdecke lag. Er besaß den Körper eines Mannes, der ständig in Bewegung war. Sogar im Schlaf wurde er von langen Muskeln modelliert.
Unschlüssig rieb sie ihre Nasenspitze und betrachtete sein Gesicht. Das schulterlange Haar umrahmte es in weichen, mahagonibraunen Wellen. Da er schlief, wirkten seine Züge weicher, das Kinn weniger kantig, die Wangenknochen weniger stark ausgeprägt, und verwandelten ihn in einen jungen Mann mit entspannten, gerade geschnittenen Lippen. Ihre Gegenwart war ihm nicht bewusst. Wenn sich hier schon die Gelegenheit bot – und die nächste Gelegenheit würde sich am Ende erst wieder bei Thibaut de Casserolles bieten – wollte sie alles, schlichtweg alles aus nächster Nähe sehen.
Sie ließ von ihrer Nasenspitze ab und griff mit spitzen Fingern nach dem Laken. Mit angehaltenem Atem beugte sie sich tiefer und hob es behutsam an. Das Büschel Haare, das sie als erstes erblickte, war keine Überraschung. Worauf sie nicht gefasst war, war dieser ziemlich große Bolzen aus Fleisch, der sich ihr entgegenreckte. Geradezu anklagend. Er schien sogar ein Auge zu haben, das sie direkt anstarrte.
„Grundgütiger“, stieß sie entsetzt aus.
Das Laken rutschte aus ihren Fingern und verbarg dieses Ungeheuer, das in einem Nest aus kastanienrotem Flaum gelegen hatte. Im selben Moment wurde sie von einer Hand im Nacken gepackt und mit einem Ruck herumgerissen. Vor ihr funkelte ein hellwaches, kristallgraues Augenpaar. Sie war nicht einmal mehr imstande zu blinzeln.
„Neugier ist der Katze Tod“, sagte er heiser, drehte mit gebieterischem Druck ihren Kopf und verschloss ihre Lippen mit seinen.
Sein endloser Kuss ließ ihre Gedanken wild umherwirbeln. Alles drehte sich, und so war es keine Überraschung, als sie plötzlich auf der Ottomane lag, die Wand im Rücken und seinen Körper der Länge nach an ihrer Vorderseite. Ein langes, kräftiges Bein schob sich zwischen ihre Schenkel. Das Laken rutschte hinab, und ihr Nachthemd bot keinen nennenswerten Schutz vor seinem nackten Körper. Als sie die Hände hob und seinen Brustkorb berührte, gab er einen Laut zwischen Wohlbehagen und Zustimmung von sich. Obwohl die Situation unerhört war, erwiderte sie seinen Kuss. Dabei hatte sie ihn von sich stoßen wollen. Eine warme Hand berührte ihr Knie und schob ihr Nachthemd nach oben. Von seinen Fingerspitzen ging ein Kribbeln aus. Kurz ließ er von ihren Lippen ab, und sie glaubte, einen undeutlichen Schimmer um seine Hand zu erkennen, ähnlich dem, der über ihre Hand gelaufen war, als sie das Schloss knackte.
Ehe sie darüber nachdenken konnte, eroberte er abermals ihre Lippen. Diesmal ging sein Kuss tiefer, wurde leidenschaftlicher. Ihre Magengrube zog sich zusammen, ein Schauder zog über ihren Körper bis hinauf unter die Kopfhaut. Ganz allmählich schob er sich tiefer. Gleichzeitig glitten seine Hände seitlich an ihrem Körper hinauf und hinterließen eine Spur aus Hitze. Seine Lippen streiften ihren Hals. Sein Atem drang durch den Stoff des
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