Kuss des Apollo
erklärte Evi noch. »Das schmeckt nicht. Den essen wir lieber extra.«
Jana schlug die Augen auf und blickte zur Decke.
»Ich will’s ja nicht beschreien, aber du hast Wunder gewirkt, Alexander. Außerdem schmeckt es wirklich hervorragend. Würdest du dir bitte morgen wieder etwas zu essen bestellen?«
»Was denn, um Gottes willen?«
»Na etwas, das du lange nicht bekommen hast.«
Nach dem Essen fragte Alexander: »Evi, möchtest du nicht noch ein Glas Wein mit uns trinken?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Ich kann nicht.«
»Hör zu, Evi. Ich kann nicht jeden Tag Gemüsesuppe essen, damit du ein freundliches Gesicht machst. Was habe ich dir denn getan? Meine Mutter hat gesagt, du willst uns verlassen. Ich begreife das nicht. Kannst du es mir nicht erklären?«
Sie schüttelte wieder den Kopf.
Alexander stand bei ihr in der Küche.
»Gut, ich verschwinde und lasse dich in Ruhe. Und …«, das sagte er in einem harten Ton, »ich kann auch ohne dich leben. Die letzten fünf Jahre warst du hier in diesem Haus, und ich bilde mir ein, wir haben uns gut vertragen, und es ist dir einigermaßen gut gegangen. Wenn es dir nicht mehr gefällt, dann musst du eben gehen.«
»Es waren sechs Jahre«, sagte sie.
»Na gut, dann eben sechs. Ich bin auf jeden Fall froh, wieder hier zu sein. Auch wenn ich noch nicht weiß, was ich machen werde. Mein Leben ist momentan etwas verwirrend. Früher war es einfacher. Wenn du verstehst, was ich meine. Ich bin etwas durcheinander. Das kommt vor, nicht wahr? Du bist es auch. Und du bist krank.«
Sie schüttelte wieder heftig den Kopf. »Es geht mir viel besser.«
»Gut. Und warum willst du uns verlassen?«
Plötzlich liefen Tränen über ihr Gesicht.
Alexander nahm sie behutsam in die Arme.
»Sind wir schuld daran, dass du krank bist? Oder schuld daran, dass es dir besser geht?«
»Ihr seid so gut zu mir. Es ist mir in meinem ganzen Leben nie besser gegangen.«
»Das ist immerhin ein Wort. Und darum willst du uns verlassen.«
»Eigentlich will ich ja nicht. Und ich weiß auch nicht, was aus mir werden soll. Es wird wieder so sein, wie es früher war. Ich werde wieder allein sein.«
Nun schluchzte sie verzweifelt, ihr ganzer Körper bebte. Alexander nahm sie fester in die Arme, strich sanft über ihren Rücken.
Und er dachte: Das ist gut. Die Tränen werden ihren Eigensinn vertreiben.
Und so war es auch.
Nachdem es so lange still blieb, schaute Jana nach einer Weile in die Küche.
Als sie die weinende Mascha sah, sagte sie: »Um Gottes willen! Was hast du mit ihr gemacht?«
Alexander veränderte seine Haltung nicht, schüttelte nur leicht den Kopf.
Ratlos schwieg Jana, dann fragte sie: »Hast du ihr Vorwürfe gemacht? Hör doch auf zu weinen, Evi. Das ist ja nicht mit anzusehen. Du wirst wieder Schmerzen bekommen.«
Alexander ließ sie los, sie wandte sich ab und fischte ein Taschentuch aus ihrer Schürze, trocknete ihr Gesicht, schnäuzte sich die Nase.
Dann sagte sie: »Ich habe das letzte Mal geweint, als ich begriff, dass meine Mutter nicht wiederkommt.«
»Deine Mutter? Komm, das musst du mir erzählen.«
Jana ergriff Maschas Hand und zog sie mit sich, hinein ins Zimmer, wo die Suppenschüssel und die Teller noch auf dem Tisch standen.
»Ich muss abräumen«, sagte Mascha.
»Später. Jetzt möchte ich erst wissen, was mit deiner Mutter los war. Du hast neulich nur von deinem Vater gesprochen.«
Mascha erschien auf einmal ganz gefasst. Die Tränen hatten den Bann gebrochen.
»Ich habe meine Mutter über alles geliebt. Und meinen Vater konnte ich nie leiden. Er war hart und gefühllos, er hat meine Mutter und mich geschlagen. Sie wollte nicht bei ihm bleiben. Eines Tages …«
Mascha stockte. Blickte hinaus in die Bäume.
Jana und Alexander schwiegen. Keine Fragen, nicht jetzt. Wenn sie wollte, wenn sie konnte, würde sie reden.
»Eines Tages«, fuhr Mascha fort, »nahm mich meine Mutter in die Arme. Ich war fünf Jahre alt. ›Ich fahre heute mit der Bahn nach Hamburg. Eine Schulfreundin von mir lebt dort‹, hat sie gesagt.«
Wieder eine Pause.
Dann: »Ich dürfe niemandem davon erzählen. Sie wollte versuchen, in Hamburg zu bleiben und Arbeit zu finden, dann wollte sie mich nachholen.«
Wieder blieb es eine Weile still.
Alexander ging zurück ins Zimmer, holte die Weinflasche, ihre Gläser und ein Glas für Mascha.
Als er die Gläser gefüllt hatte, fragte er: »Sie hat dich nicht geholt?«
»Drei Tage später wurde die Mauer
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