Kuss des Apollo
mit uns trinken will?«
»Nein, lass sie in Ruhe. Sonst läuft sie heute Abend noch davon.«
»Sie will wirklich gehen? Wohin denn?«
»Das habe ich sie auch gefragt. Sie wird schon eine Stellung finden, hat sie gesagt. Vielleicht könnte ich ihr ein gutes Zeugnis schreiben.«
»So gut wie bei uns wird sie es nie wieder haben. Überhaupt hatte ich immer den Eindruck, dass sie sich bei uns sehr wohl fühlt.«
»Das gibt sie ja zu. Aber weil ich jetzt Bescheid weiß, will sie gehen. Sie schämt sich.«
»Ja, was machen wir nun mit ihr?«
»Heute gar nichts mehr. Ich hoffe, sie wird morgen früh noch da sein. Du benimmst dich ganz normal.«
»Du hältst es wirklich für möglich, dass sie einfach über Nacht verschwindet?«
»Ja, ich halte es für möglich. Und ich kann sie nicht einsperren. Geld hat sie für die nächste Zeit, sie hat immer gespart. Du weißt ja, sie ist nicht ausgegangen, war nie an einem freien Tag interessiert, auch nicht an Urlaub. Wenn ich gesagt habe, Evi, es ist so schönes Wetter, mach mal einen Spaziergang in den Grunewald, dann hieß es immer: ›Schönes Wetter habe ich hier im Garten auch.‹«
»Und du meinst, sie hätte Geld genug, dass sie eine Weile davon leben könnte?«
»Ja, das denke ich. Sie hat ja fast nie etwas eingekauft.«
»Und was machen wir nun?«
»Abwarten. Du tust, als hättest du keine Ahnung.«
»So dumm ist sie nicht. Dass du mir heute Abend einiges erzählt hast, kann sie sich denken. Und ich bin nicht der Meinung, dass man so tun soll, als wäre die Welt in Ordnung. Du hast von diesem russischen Arzt gesprochen. Wir sind keine Ärzte, aber möglicherweise wäre es für sie ganz heilsam, wenn sie über das ganze Malheur einmal sprechen könnte.«
»Wenn sie nicht mit mir spricht, von Frau zu Frau, wie soll sie dann mit einem jungen Mann sprechen?«
»Achtzehn bin ich auch nicht mehr. Am besten geeignet wäre natürlich Will Loske. Vielleicht rufen wir den an und fragen, ob er nicht mal für ein paar Tage kommen könnte.«
Jana schüttelte den Kopf.
»Du hast Ideen!«
»Sage ich ja. Also zunächst mal stehe ich morgen zeitig auf, ich muss ja ins Geschäft. Wenn sie noch da ist, macht sie mir Frühstück, ja? Du bleibst noch ein bisschen im Bett, vielleicht hast du Kopfschmerzen oder so was. Und ich bestelle mir irgendwas Ausgefallenes zum Abendessen. Was zum Beispiel?«
»Weiß ich doch nicht.«
»Fisch habe ich reichlich gegessen, Spargelzeit ist vorbei, schönes Gemüse hatte Oma auch. Was könnte ich mir denn wünschen, was sie kann und du nicht.«
Jana stand auf. »Du machst mich wahnsinnig. Es ist viel zu heiß zum Essen.«
»Mir wird etwas einfallen. Und ich sage Evi zu ihr. Mal sehen, ob sie mich korrigiert. Und jetzt gehe ich schlafen. Ich war den ganzen Tag unterwegs, und ich hatte mich darauf gefreut, endlich mal im Atlantic zu übernachten. Aber es ist besser, dass ich jetzt hier bin. Ach, und die arme Geraldine! Wie wird sie bloß mit Vater klargekommen sein. Er kann ja ziemlich trocken sein, nicht wahr?«
»Sie wird’s überleben. Morgen fährt sie ja zurück nach Sylt. Jörg ist in England, dafür habe ich gesorgt. Meinst du, sie wird mit Mutter gut auskommen?«
»Bestimmt. Oma macht das prima. Und wenn sie jetzt eine Weile allein sind, wird das ganz erholsam sein.«
»Von ihr hast du gar nichts erzählt.«
»Wir sind vor lauter Evi-Mascha nicht dazu gekommen. Es gibt auch nicht viel zu erzählen. Wir verstehen uns gut, mit Jörg war es ganz unterhaltsam, aber mehr ist es nicht. Sie liebt Nelson. Und sie hat sich in Silkes Vater verliebt. Der hat den Blick des Odysseus.«
»Was ist denn das wieder für ein Unsinn.«
»Erkläre ich dir gelegentlich mal. Heute bin ich zu müde.«
Wie er es sich vorgenommen hatte, stand Alexander früh auf.
Evi servierte ihm das Frühstück und benahm sich nicht anders als sonst.
»War richtig angenehm, mal wieder im eigenen Bett zu schlafen«, sagte er, als sie ihm die zweite Tasse Kaffee einschenkte.
Bisher hatte sie geschwiegen, jetzt lächelte sie und sagte: »Soviel ich weiß, ist das Bett bei deiner Großmama doch auch ein eigenes Bett.«
»Schon. Aber hier ist es anders.«
»In den letzten Jahren warst du doch kaum hier.«
»Stimmt. Das meine ich ja. Nichts gegen die Briten, aber ich bin froh, wieder hier zu sein. Und arbeiten muss ich jetzt auch. Ich habe keine Ahnung, was in der Produktion los ist. Mein Vater hat keine zehn Worte mit mir gewechselt, hat mich in den Flieger
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