Kuss des Apollo
wir eine Szene auf Delos drehen«, sagte Sebastian nach einer Weile der Überlegung und zündete sich die sechste Zigarette an, seit sie an der Bar saßen. Die anderen sahen ihn missbilligend an. Will hatte nie geraucht, Jana ganz gern und Frobenius sehr viel. Er hatte es sich mühsam abgewöhnt, und Jana rauchte ihm zuliebe auch nicht mehr. Jetzt blickte sie nachdenklich auf Oskar, der lang ausgestreckt auf dem grünen Teppich lag und fest schlief.
Oskar war Wills Hund, ein dunkler Gordonsetter, er war dieser Rasse treu geblieben.
»Delos, was soll das denn nun wieder heißen?«, fragte Frobenius.
»Delos ist die berühmteste Insel der Kykladen«, erzählte Sebastian. »Hier wurden Apollo und Artemis geboren, beide Kinder des Zeus. Nicht von Hera, seiner Gattin, selbstverständlich nicht, sondern von einer Dame namens Leto. Die ihrerseits von Hera auf die Insel verbannt wurde, wo sie dann die beiden Kinder gebar. Artemis, Göttin der Jagd, der Natur, Beschützerin der Tiere. Und Apollo, na, das wisst ihr ja, Gott der Musik und der Dichtkunst, der Kunst überhaupt, der Medizin, im Guten wie im Bösen, und der schönste aller Götter.«
»Was heißt denn das nun wieder, Medizin im Guten wie im Bösen?«, fragte Jana müde.
»Er kann heilen und verderben, er kann Wahnsinn verursachen. Delos war eine Kultstätte der alten Griechen und ist es heute noch. Auf der Insel darf niemand geboren werden und niemand sterben, sie wird von steinernen Löwen bewacht. Hier steht auch das Amphitheater, in dem ich den Film beginnen lassen möchte. Die Insel ist unbewohnt. Allerdings dürfen Touristen an bestimmten Tagen und zu bestimmten Stunden Delos besuchen. Von Mykonos aus zum Beispiel, das liegt am nächsten. Dort ist ein fürchterlicher Rummel, eine Amüsierinsel, voll von Fremden, jede Menge Kneipen. Außerdem ein beliebter Treffpunkt für Schwule.«
»Das würde Apollo kaum gefallen«, sagte Will und kicherte albern.
»Wollen wir nicht schlafen gehen?«, fragte Jana, die Augen immer noch auf den schlafenden Hund gerichtet.
»In Griechenland wollen Sie drehen?« Frobenius war entsetzt. »Was soll das denn noch kosten?«
»Außenaufnahmen von den Inseln müssen sein, das Meer, die Küsten, die Berge. Und das Amphitheater von Delos, das ganz bestimmt. Jedenfalls als Beginn. Komparsen bekommen wir vor Ort, das wird nicht teuer.«
»Fragt sich nur, ob Sie auf Delos filmen dürfen, wenn das eine so geheiligte Städte ist«, sagte Will.
»Ich habe schon eine Anfrage bei der griechischen Botschaft in Paris laufen«, erklärte Sebastian kühl.
Alle sahen ihn verblüfft an. Es schien ihm ernst mit seinem Plan zu sein.
»Für die weiteren Aufnahmen«, fuhr er fort, »können wir das Amphitheater hier nachbauen. In Babelsberg. Oder noch besser bei der Bavaria in München, die können das gut. Die haben mir auch ganz fabelhaft die Brücke von Avignon aufgebaut.«
Werner blickte von einem zum anderen, dann auf die leeren Gläser.
»Noch eine Runde?«, fragte er freundlich.
»Gut«, sagte Frobenius. »Einen kleinen Nightcap.«
»Für mich nicht«, sagte Jana. »Es ist bereits Karfreitag, den sollte man nicht gerade besoffen beginnen.«
»Ich mache mit Oskar noch einen kleinen Spaziergang«, sagte Will. »Ein Glas trinke ich noch, dann gehen wir hinaus. Komm, steh auf, Oskar. Eine wunderbare klare Nacht draußen, wir schauen auf die weißen Berge, es wird ganz still sein, kein Mensch auf den Straßen, das haben wir gern.«
Der Hund war aufgestanden, streckte sich, die Beine weit gereckt.
»Es ist Karfreitag, da hat Jana recht. Den kann man sehr gut mitten in der Nacht beginnen und dabei auf die Berge blicken. Morgen wird gefastet. Oder sagen wir mal, wenig gegessen. Meine Mutter hat am Karfreitag immer Eier in Dillsoße gemacht. Gibt es hier sicher nicht.«
»Wenn Sie es wünschen«, sagte Werner, »bekommen Sie es bestimmt.«
»Vielleicht bekomme ich sie bei Tante Kitty«, überlegte Will. »Kann ich ja mal nachfragen.«
»Jetzt?«, sagte Jana und gähnte.
»Morgen Vormittag. Sonntag gehe ich mit Tante Kitty in die Kirche, und dann laden wir sie ganz groß zum Essen ein. Also dann, Genossen. Schlaft gut in dieser traurigen Nacht.«
Er trank sein Glas aus, schnalzte mit der Zunge und verließ mit Oskar die Halle. Der Nachtportier stand schon an der Tür bereit.
Auch Herbert machte sich daran aufzubrechen.
Er leerte sein Glas und sagte: »Danke, Werner. Es ist spät geworden. Es wird Zeit, dass Sie auch nach Hause
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