Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
schritt auf den Tiger zu. Zögerlich griff ich mit der Hand in seinen Käfig, um ihm noch einmal die Pfote zu tätscheln. Augenblicklich schoss seine Zunge hervor, um mir die Hand zu lecken. Ich lachte zuerst und bewegte die Hand dann langsam hinauf zu seiner Wange und streichelte das weiche Fell dort. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und kratzte ihn zögerlich hinterm Ohr, bereit, meine Hand im Notfall schnell zurückzuziehen. Ein tiefes Grollen vibrierte in seiner Kehle, und ich erkannte, dass er zufrieden schnurrte. Ich grinste und kratzte ihn beherzter.
»Das gefällt dir, nicht wahr?« Ich zog die Hand aus dem Käfig, behutsam wie zuvor, und beobachtete Ren eine Weile, während ich darüber nachgrübelte, was genau geschehen war. Ein beinahe menschlicher Ausdruck von Melancholie lag auf seinem Gesicht. Wenn Tiger eine Seele haben, und davon bin ich überzeugt, ist seine einsam und traurig.
Ich sah in seine blauen Augen und flüsterte: »Ich wünschte, du wärst frei.«
4 · Der Fremde
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D er F remd e
Z wei Tage später traf ich einen großen, vornehmen Mann in einem eleganten schwarzen Anzug neben Rens Käfig an. Sein dichtes weißes Haar war kurz geschnitten, seine Augen waren dunkelbraun, beinahe schwarz, und er hatte eine lange Adlernase, einen olivfarbenen Teint und trug einen Schnauzer. Der Mann war allein, redete leise und sah definitiv nicht so aus, als gehörte er in eine Scheune.
»Hallo? Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte ich mich.
Der Mann schnellte herum, schenkte mir ein Lächeln und erwiderte: »Hallo! Sie müssen Miss Kelsey sein. Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Anik Kadam. Es ist eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich.
Und ich dachte, Ritterlichkeit sei aus der Mode gekommen.
»Ja, ich bin Kelsey. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
»Vielleicht könnten Sie mir tatsächlich behilflich sein.« Er lächelte warmherzig und fuhr fort: »Ich würde gerne mit dem Besitzer Ihres Zirkus über dieses außergewöhnliche Tier hier sprechen.«
Verwundert antwortete ich: »Natürlich, Mr. Maurizio ist in dem schwarzen Wohnwagen hinter dem Hauptgebäude. Soll ich Sie hinbringen?«
»Sie brauchen sich nicht zu bemühen, meine Liebe. Aber vielen herzlichen Dank für das Angebot. Ich werde auf der Stelle zu ihm gehen.«
Mr. Kadam drehte sich auf dem Absatz um und verließ die Scheune, wobei er die Tür leise hinter sich schloss.
Nachdem ich sichergestellt hatte, dass mit Ren alles in Ordnung war, sagte ich: » Das war jetzt aber seltsam. Ich frage mich, was er wollte. Vielleicht hat er eine Schwäche für Tiger.« Ich zögerte einen Moment, dann streckte ich die Hand durch die Käfigstäbe. Überrascht von meiner eigenen Kühnheit streichelte ich rasch Rens Pfote und bereitete anschließend sein Frühstück vor.
»Es geschieht nicht alle Tage, dass man einen Tiger sieht, der so schön ist wie du«, sagte ich über die Schulter. »Wahrscheinlich will er dir nur ein Kompliment für deine Vorstellung machen.«
Ren schnaubte als Antwort.
Ich beschloss, mir ebenfalls einen Happen zu essen zu holen, und eilte in Richtung Hauptgebäude – nur um dort ein ungewöhnlich reges Treiben vorzufinden. Beinahe der ganze Zirkus hatte sich versammelt, sie steckten in kleinen Grüppchen die Köpfe zusammen. Ich schnappte mir einen saftigen Schokoladenmuffin sowie eine Flasche kalter Milch und stellte mich zu Matt.
»Was ist los?«, murmelte ich mit einem großen Bissen Muffin im Mund.
»Ich weiß nicht so genau. Mein Dad, Mr. Maurizio und ein Mann haben eine Unterredung, und uns wurde gesagt, wir sollen unsere Arbeit unterbrechen und hier warten. Wir fragen uns alle, was los ist.«
»Hmm.« Ich setzte mich, aß meinen Muffin und lauschte den wilden Theorien und Spekulationen der Truppe.
Wir mussten nicht lange warten. Wenige Minuten später betraten Mr. Maurizio, Mr. Davis und Mr. Kadam, der Fremde, den ich kurz zuvor getroffen hatte, das Gebäude.
» Sedetevi, meine Freunde. Setzt euch. Setzt euch!«, sagte Mr. Maurizio mit einem strahlenden Lächeln. »Dieser Mann, Mr. Kadam, hat mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht. Er hat mir das Angebot gemacht, unsere geliebte tigre, Dhiren, zu kaufen.«
Ein Raunen ging durch Menge.
Mr. Maurizio fuhr fort: »Aber, aber … silenzio . Scht, scht, amici miei . Lasst mich zu Ende reden! Er möchte unsere tigre zurück nach Indien in den RanthamboreNationalpark
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