Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
einen gewaltigen Satz, sodass ich ihm erneut nachjagen musste. Mich beschlich das Gefühl, er spielte mit mir. Er blieb stets knapp außerhalb meiner Reichweite. Nachdem ich Ren weitere fünfzehn Minuten gefolgt war und ihn immer noch nicht erwischt hatte, legte ich eine kurze Pause ein. Ich wusste, ich hatte mich weit von der Stadt entfernt, und das Licht schwand allmählich. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wo ich war.
Ren musste bemerkt haben, dass ich ihm nicht mehr folgte, denn schließlich verlangsamte er seinen Schritt, machte kehrt und kam schuldbewusst zu mir zurückgetrabt. Ich funkelte ihn finster an.
»Typisch! Sobald ich stehen bleibe, kommst du zurück. Wir haben uns heillos verlaufen. Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden.«
Nachdem ich das Seil an seinem Halsband befestigt hatte, drehte ich mich einmal im Kreis und betrachtete eingehend meine Umgebung, um mich wieder zurechtzufinden.
Wir waren tief in den Dschungel vorgedrungen, zwischen Bäumen hindurchgeschlüpft, hatten mehrmals Haken geschlagen und waren im Kreis gegangen. Tief verzweifelt musste ich mir eingestehen, dass ich völlig die Orientierung verloren hatte. Die Dämmerung hatte eingesetzt und das dunkle Blätterdach der Bäume schirmte das wenige noch vorhandene Sonnenlicht ab. Angst schnürte mir die Kehle zu, und ich spürte, wie sich eine eisige, beißende Kälte meine Wirbelsäule hinabfraß. Nervös schlang ich mir das Seil um die Hände und murrte den Tiger an. »Vielen lieben Dank, Mister! Wo bin ich? Was soll ich nur tun? Ich bin wer weiß wo in Indien, im Dschungel, nachts, mit einem Tiger an der Wäscheleine!«
Ren setzte sich ruhig neben mich.
Für einen Moment überwältigte mich die Angst, und ich glaubte, der Urwald rückte näher und näher auf mich zu. All die unzähligen Geräusche vermischten sich zu einem einzigen raschelnden, klirrenden Dröhnen, übertönten meinen verängstigten Verstand, wollten ihn in die Knie zwingen. Ich vermutete Geschöpfe, die mir auflauerten, deren glasige, feindselige Augen mich beobachteten und die nur darauf warteten, sich auf mich zu stürzen. Ich blickte hoch und sah bedrohliche Monsunwolken sich auftürmen und hastig den frühen Abendhimmel verschlingen. Ein schneidender Wind peitschte durch die Bäume und umwirbelte meinen angststeifen Körper.
Nach ein paar Sekunden erhob sich Ren und schritt weiter, zog sanft meinen angespannten Körper mit sich. Widerstrebend folgte ich ihm. Ich stieß ein nervöses, irres Lachen aus, da ich zuließ, dass mich ein Tiger durch den Dschungel führte, doch vermutlich machte es keinen Sinn, dass ich voranging, hatte ich doch nicht die leiseste Ahnung, wo wir waren. Ren trottete einen unsichtbaren Pfad entlang, zog mich hinter sich her. Ich verlor jegliches Zeitgefühl, glaubte aber, eine, vielleicht zwei Stunden durch den Urwald gegangen zu sein. Es war jetzt stockdunkel und ich hatte Angst und Durst.
Da erinnerte ich mich, dass Mr. Kadam Wasser in den Rucksack gepackt hatte. Ich öffnete einen Reißverschluss und fischte nach der Flasche. Meine Hand berührte etwas Kaltes, Metallenes. Eine Taschenlampe! Ich schaltete sie ein und verspürte einen Hauch von Erleichterung, als der Lichtstrahl die Dunkelheit durchschnitt.
Der magere Strahl meiner Taschenlampe reichte jedoch nicht sehr weit, was den Dschungel nur noch dunkler und bedrohlicher machte. Sobald das Licht der Mondsichel durch das üppige Blätterdach sickerte, leuchtete Rens Fell dort auf, wo das silbrige Licht es berührte.
Ich spähte nach vorne, erhaschte immer wieder einen Blick auf seinen funkelnden Körper, während er durch den gescheckten, flackernden Lichtschimmer trottete. Sobald sich der Mond hinter die Wolken schob, verschmolz Ren vollständig mit dem Pfad vor ihm. Ich richtete meine Taschenlampe auf ihn und sah, wie stacheliges Gestrüpp über sein silbrig weißes Fell kratzte. Grob schob er die dornigen Pflanzen mit seinem Körper beiseite, beinahe so, als wollte er mir einen Weg bahnen.
Nachdem wir eine geraume Weile gegangen waren, zog er mich schließlich zu einem Bambushain. Er reckte die Nase in die Luft, wie um nach Feinden zu schnuppern, und trottete dann zu einem Grasstreifen, auf dem er sich in aller Seelenruhe niederlegte.
»Hm, das bedeutet wohl, dass wir hier die Nacht verbringen.« Ich schälte mich aus meinem Rucksack. »Großartig«, jammerte ich. »Nein, wirklich. Eine entzückende Wahl. Ich würde vier Sterne geben, wäre ein Pfefferminzbonbon
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