Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
mich hierherverirre?«
Ren kam zu mir getrottet und setzte sich.
»Nein«, sagte ich, während ich in die blauen Augen des Tieres sah. »Das ist doch Quatsch. Welchen Grund sollte er denn haben, mich den ganzen Weg nach Indien zu bringen, damit ich mich dann im Dschungel verlaufe? Außerdem hat er nicht wissen können, dass du mich führst und ich dir auch noch folge. Und er wirkt wirklich nicht wie ein Betrüger.«
Ren senkte den Blick, als fühlte er sich schuldig.
»Wahrscheinlich ist Mr. Kadam einfach nur ein gut vorbereiteter Pfadfinder. Glück für mich.«
Nach einer kurzen Rast erhob sich Ren wieder, machte ein paar Schritte und drehte sich dann auffordernd um. Stöhnend hievte ich mich von dem Stein und folgte ihm. Nachdem ich das Insektenspray herausgeholt hatte, gab ich reichlich davon auf meine Arme und Beine und besprühte auch noch Ren. Ich lachte, als er die Nase rümpfte und ein heftiges Tigerniesen seinen Körper schüttelte.
»Also schön, Ren, wohin gehen wir? Du siehst aus, als hättest du ein Ziel vor Augen. Ich persönlich würde gerne wieder zurück zur Zivilisation. Wenn du also eine Stadt finden könntest, wäre ich dir sehr verbunden.«
Den restlichen Morgen bis zum frühen Nachmittag folgte er einem Pfad, den nur er allein sah.
Ich überprüfte häufig meinen Kompass und sah, dass wir in östlicher Richtung unterwegs waren. Gerade versuchte ich auszurechnen, wie viele Meilen wir marschiert waren, als Ren in den Büschen verschwand. Ich lief ihm hinterher und entdeckte zu meiner grenzenlosen Erleichterung auf der anderen Seite eine kleine Lichtung und mitten darauf eine kleine Hütte. Das gewölbte Dach war mit Schilf bedeckt, das fest zusammengeschnürt war und wie eine Decke über dem Gebäude lag. Dicke Pflanzenfasern, zu komplizierten Knoten geknüpft, banden große Bambusstäbe aneinander, welche die Mauern bildeten, wobei die Spalten mit getrocknetem Gras und Lehm gefüllt waren.
Die Hütte war von einer niedrigen Mauer aus losen Steinen umgeben, die mit dickem grünen Moos bewachsen waren. Vor der Hütte waren dünne, mit einer Fülle an unlesbaren Symbolen und Zeichen bemalte Steinplatten an der Mauer befestigt. Die Türöffnung war so winzig, dass sich ein durchschnittlich großer Mensch beim Eintreten bücken musste. Kleidung flatterte an einer Wäscheleine im Wind und an einer Seite des Hauses gedieh ein prächtiger, farbenfroher Garten.
Wir gingen auf die Steinmauer zu, und genau in dem Moment, als ich darübersteigen wollte, sprang Ren neben mir über den Wall. »Ren! Du hast mich zu Tode erschreckt! Mach das nächste Mal zuerst ein Geräusch, okay?«
Vor der kleinen Hütte nahm ich all meinen Mut zusammen, um an der winzigen Tür zu klopfen, da zögerte ich mit einem Seitenblick auf Ren. »Zuerst müssen wir uns um dich kümmern.« Ich holte das gelbe Seil aus meinem Rucksack und schritt über den Hof zu einem Baum. Unentschlossen folgte mir der Tiger. Ich winkte ihn näher. Als er schließlich nah genug war, schob ich das Seil durch sein Halsband und knotete das andere Ende an dem Baum fest. Ren schien darüber nicht glücklich zu sein.
»Tut mir leid, Ren, aber ich kann dich nicht frei herumlaufen lassen. Du würdest die Familie erschrecken. Ich komme so schnell wie möglich zurück, versprochen.«
Ich ging auf das kleine Haus zu, erstarrte dann jedoch mitten in der Bewegung, als ich hinter mir die Stimme eines Mannes hörte: »Ist das wirklich nötig?«
Ich drehte mich langsam um und erblickte einen gut aussehenden Mann direkt hinter mir. Er war vielleicht Anfang zwanzig, überragte mich um einen Kopf und hatte einen kräftigen, durchtrainierten Körper, der in weit fallender weißer Baumwollkleidung steckte. Sein langärmliges Hemd hing aus der Hose und war achtlos geknöpft, sodass seine glatte, gut gebaute, golden schimmernde Brust zum Vorschein kam. Seine leichte Hose war bis zu den Knöcheln aufgerollt und betonte seine nackten Füße. Das glänzende schwarze Haar, das sich in seinem Nacken leicht lockte, hatte er sich aus dem Gesicht gestrichen.
Seine Augen waren jedoch das Faszinierendste an ihm. Es waren die Augen meines Tigers, dasselbe dunkle Kobaltblau.
Er streckte die Hand aus und sagte: »Hallo, Kelsey. Ich bin’s, Ren.«
8 · Eine Erklärung
8
E ine E r k l ä run g
D er Mann kam bedächtig auf mich zu, die gespreizten Hände beschwichtigend vor sich haltend, und wieder holte: »Kelsey, ich bin’s, Ren.« Er machte keinen Furcht
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